Warum punktet Wilders in den Niederlanden?
Nach dem Brexit-Votum und dem Wahlsieg Trumps haben Beobachter vor der Parlamentswahl in den Niederlanden am 15. März vor allem Geert Wilders und dessen fremdenfeindliche PVV im Blick. Monatelang führte der Rechtspopulist die Umfragen an, aktuell hat jedoch die rechtsliberale VVD von Premier Mark Rutte wieder die Nase vorn. Die Presse ist gespannt, wie sich die Bürger in dieser ersten für Europa so wichtigen Wahl im Jahr 2017 entscheiden.
Soziale Kälte macht Bürger wütend
Für den Aufstieg von Wilders macht De Morgen auch den harten Sparkurs der vergangenen Jahre verantwortlich:
„Es ist nicht nur kulturelle Angst oder Wut, auf die Geert Wilders seinen Erfolg aufbaut, sondern auch gerade ein Gefühl, dass viele Niederländer, trotz der heutigen Wirtschaftsdaten, nicht am Wohlstand teilhaben. Die negative Bewertung hat Ruttes Regierung sich selbst zuzuschreiben, durch ihre Krisenpolitik. Gerade zum Zeitpunkt des wirtschaftlichen Niedergangs mutete der niederländische Staat der Bevölkerung noch extra schmerzhafte Maßnahmen zu. Das führte für viele zu einer jahrelangen wirtschaftlichen Kälte. Die Volkswut, die darüber herrscht, erklärt auch die Popularität von Wilders.“
Angst vor Einwanderung muss erhört werden
Wer die Sorgen der einfachen Bürger vor Migration ernst nimmt, kann Wilders und seine Gesinnungsgenossen stoppen, glaubt das Portal Delfi:
„Xenophobie ist nicht zu rechtfertigen, aber Xenophilie ist auch keine Alternative. Viele anständige Bürger haben gute Gründe, unter sich bleiben und Einwanderung begrenzen zu wollen. ... Die Elite lebt in den reichen Vierteln, wo man Flüchtlinge nur als Diener oder auf irgendwelchen Events trifft. Wenn Rutte und andere EU-Politiker sich öfter und nicht nur vor den Wahlen in die Situation der einfachen Bürger versetzen würden, könnte man effektiver eine Lösung suchen und damit auch das Aufblühen der radikalen Parteien, des Hasses und des Rassismus stoppen.“
Inhaltsfreier Populismus
Dass alle Parteien in den Niederlanden die EU für die Probleme des Landes verantwortlich gemacht haben, hat Wilders den Weg bereitet, meint El Mundo:
„Diese Einstellung hat den Rückhalt für die Union zerstört, was nun - zusammen mit dem allgemeinen Verdruss in Bezug auf die herkömmlichen Parteien - den idealen Nährboden für europafeindliche und populistische Formationen gibt. Wilders schwenkt diese Fahne und kanalisiert außerdem einen Großteil der Unzufriedenheit der Bevölkerung, indem er die Einwanderer, vor allem die Muslime, zu Sündenböcken macht. Und das reicht ihm. Denn in Wirklichkeit bietet er kein echtes Programm an. Niemand weiß, was er täte, sollte er wirklich regieren. Das ist der Sieg des leeren Populismus.“
Politik der Wut
Wilders wird es zwar nicht an die Regierung schaffen, doch hat er die Niederlande schon jetzt verändert, analysiert der anglo-niederländische Schriftsteller Ian Buruma in einem Gastbeitrag in La Repubblica:
„Wie Populisten überall verspricht Wilders den Niederländern ihnen ihr Land zurückzugeben und die nationale Identität zu verteidigen - vor dem Islam natürlich, aber auch vor Brüssel, der Hauptstadt der EU. ... Wilders, Ex-Punk-Musiker und mütterlicherseits indonesischer Herkunft, scheint nicht unbedingt der geeignete Mann zu sein, die Identität einer mehrheitlich protestantischen Handelsnation zu läutern, die auf eine Tradition zurückblickt, die es Menschen verschiedenen Glaubens und unterschiedlicher Überzeugungen erlaubt hat, friedlich zusammenleben. Doch teilt er mit seinen Anhängern eine schwelende Wut all denjenigen gegenüber, die er verdächtigt, sie würden sich für etwas Besseres halten. Das dürfte für das Amt des Premiers nicht genügen, doch hat seine Politik der Wut bereits genug Schaden angerichtet.“
Auf den Tabubruch muss Mäßigung folgen
Wie sehr Wilders - auch ohne dass er die Parlamentswahl gewinnt - die Politik seines Landes prägt, beschreibt Göteborgs-Posten:
„Geert Wilders ist gefährlich, weil andere Parteien ihm Raum geben für die Fragen, die viele Wähler umtreiben. Die Niederlande haben die gleichen Probleme wie andere westeuropäische Länder. Obwohl die Wirtschaft boomt, gibt es eine große Gruppe in erster Linie älterer Wähler, die durchs Raster fallen. ... Mit dem Erfolg von Wilders' Partei haben auch die etablierten Parteien begonnen, der islamistischen Intoleranz zu begegnen. Premier und VVD-Parteichef Mark Rutte erklärte kürzlich in einem offenen Brief, dass diejenigen, die Homosexuelle oder Frauen in kurzen Röcken belästigen oder normale Holländer als Rassisten beschimpfen, gerne wegziehen dürfen. Selbstverständlichkeiten wie diese zu benennen, war bisher ein Tabu. ... Die Niederlande müssen die Probleme angehen. Aber mit mehr Weisheit und Mäßigung als die Wilders'sche Politik sie zeigt.“
Niederländer an Wilders' Rassismus gewöhnt
Dass die ausländischen Medien mit ihrer Berichterstattung über Wilders den Bürgern in den Niederlanden die Augen öffnen, findet Volkskrant-Kolumnistin Sheila Sitalsing:
„Möglicherweise sind die ausländischen Medien noch stärker von dem großen blonden Führer besessen als wir mit unserer eigenen Wilders-Manie. ... An den Kommentatoren sind offenbar die letzten 15 Jahre niederländischer Politik vorbei gegangen. Sie kapieren jetzt erst, dass man in der niederländischen Politik viel über Muslime und Migranten sagen darf. Es sind Reporter, die erstmals Wilders Ansichten mitbekommen und sich schockiert geben - worüber wir nur müde lächeln können. So sehr haben wir uns schon an die Frechheit, die Verstöße gegen die Verfassung, den unverhohlenen Rassismus, den Hass und die Hetze gewöhnt, dass wir erst aufhorchen, wenn ein ausländischer Reporter sich über die weit verschobenen Grenzen der niederländischen Debatte wundert.“
Nicht nur Wilders beachten
In den Umfragen erzielen auch der Grüne Jesse Klaver, der Linksliberale Alexander Pechtold und der Christdemokrat Sybrand Buma hohe Werte. Doch ausländische Medien sind nur am Rechtspopulisten Geert Wilders interessiert, klagt der Kolumnist von NRC Handelsblad, Tom-Jan Meeus:
„In simpler Wahlkampf-Sprache könne man sagen: Klaver ist zu naiv, Pechtold zu vage, Buma zu konservativ. Ich denke selbst, dass diese drei vor allem die Schönheit unserer Demokratie illustrieren. Doch die Medien aus der ganzen Welt kommen, um über Wilders zu berichten. Und die niederländischen Medien ihrerseits wollen schon seit Monaten etwas über wütende Bürger erzählen. Diese drei Kandidaten auf Siegeskurs aber zeigen, dass weitaus die meisten Niederländer konstruktiv bleiben wollen - statt Wut zu verbreiten.“
Richtungswahl für Europa
Der 15. März wird weichenstellend für dieses Jahr, in dem viele EU-Staaten wählen und die Union um ihre Zukunft ringt, analysiert Hürriyet Daily News:
„Die anstehenden Wahlen in den Niederlanden werden ein früher Indikator sein, ob der Rechtspopulismus weiterhin Unterstützung in Europa gewinnen kann. Da die Partei der Freiheit (PVV), angeführt von Geert Wilders, in den Umfragen vorne liegt, bestimmt sie die politischen Debatten in den Niederlanden. ... Das Gleiche kann in Frankreich beobachtet werden, wo die ultrarechte Marine Le Pen die Umfragen anführt, zumindest für die erste Runde. … Die Wahlen in verschiedenen EU-Ländern werden nicht nur über die künftige Form der EU entscheiden, sondern auch die Rolle Europas in der Welt bestimmen. Das Ergebnis wird ohne Zweifel Auswirkungen auf die Zukunft der Welt haben - auch in Anbetracht der Tatsache, dass die beiden Weltkriege, die wir bisher erlebt haben, als europäische Kriege begannen.“
Nexit ist keine Option
Rechtspopulistische Parteien sind in den Niederlanden seit Jahren im Aufwind, ein EU-Austritt des Landes ist aber nicht zu erwarten, analysiert Jutarnji list:
„Die Wirtschaft läuft, die Arbeitslosigkeit sinkt und solche Trends sind den meisten Bürgern wichtiger als populistische Parolen. Die Niederländer wissen um die Probleme im Land, die multiethnischen Schwierigkeiten, aber sie schreiben die Ursachen nicht allein den Muslimen zu, so wie es die Populisten gerne hätten. Dennoch hat sich das einst liberalste Land der westlichen Welt verändert. Die Integration von Ausländern geschieht immer langsamer und längst kann der Premier nicht mehr alleine mit dem Fahrrad zu Arbeit fahren. Die niederländische Gesellschaft hat die Nase voll von den etablierten Politikern und deshalb herrscht vor den Wahlen auch eine so große Ungewissheit. Trotzdem wird es einen Nexit nicht geben. Die Europäische Union kann ohne Großbritannien überleben, aber nicht ohne die Niederlande.“