Welche Politik verfolgt SPD-Kandidat Schulz?
Nach seiner 100-Prozent-Wahl zum SPD-Kanzlerkandidaten hat Martin Schulz kritische Töne an einige europäische Partner gesendet. "Schaut in die Türkei, schaut nach Ungarn, schaut nach Polen", sagte er mit Verweis auf den Abbau der Demokratie in diesen Staaten. Journalisten aus Mittelosteuropa wollen diese Worte so gar nicht schmecken.
Bei Russland drückt der Kandidat ein Auge zu
Im Falle eines Siegs von Martin Schulz bei der Bundestagswahl kommt auf die Mittelosteuropäer Ungemach zu, fürchtet Mladá fronta dnes:
„Der Aufstieg von Leuten wie Schulz kann nur die Euroskeptiker stärken. Schon in seiner ersten Rede nach seiner 100-Prozent-Wahl enttäuschte Schulz in dieser Hinsicht nicht. Er wählte sich ein paar Länder aus und erklärte sie zu Feinden der Freiheit und Demokratie. Er begann mit der Türkei, was noch in Ordnung war. Dann aber fuhr er mit Ungarn und Polen fort, zwei stabilen mitteleuropäischen Demokratien, die sich freilich konservative Regierungen leisten. Das ist in den Augen des 'überzeugten Europäers' Schulz eine Todsünde. Zum Schluss fügte er noch die USA zu seiner improvisierten Liste des Bösen hinzu. ... Nur mal so am Rande: nicht uninteressant ist, dass Schulz während seiner umfangreichen Tirade gegen die erklärten Feinde Putin und Russland überhaupt nicht erwähnte.“
Schulz wäre für Orbán der perfekte Feind
Was der ungarische Regierungschef Orbán und der SPD-Kanzlerkandidat Schulz gemeinsam haben, erklärt Magyar Nemzet:
„Beide wurden mit überwältigender Unterstützung zu den Überchefs ihrer Parteien gewählt; beide sind an der Front der verbalen Politik über die Maßen kämpferisch; und beide haben einander als Feindbild nötig wie einen Bissen Brot. ... Hierzulande wird auch immer wieder behauptet, dass Schulz als deutscher Kanzler für die ungarische Regierung eine Katastrophe wäre. Mitnichten! Ich behaupte Folgendes: Viktor Orbán könnte sich keinen idealeren Feind aussuchen als Schulz und die SPD. Inwieweit die Eskalation eines Kriegs zwischen Orbán und Schulz für Ungarn schlecht wäre, steht freilich auf einem anderen Blatt.“
Leidenschaftlichkeit ist nicht alles
Herausforderer Schulz vermittelt im Gegensatz zu Kanzlerin Merkel Leidenschaftlichkeit, die jedoch nicht ausschlaggebend sein muss, meint die Süddeutsche Zeitung:
„Es konkurriert die Frau, die vielen als verbraucht galt, mit dem Mann, der vielen als frisch gilt. Aber in bewegten Zeiten ändern sich solche Zuschreibungen schnell. ... Angela Merkel hat mit ihrem Auftritt bei Donald Trump demonstriert, was in ihr steckt. Es zeigte sich, wie sich vermeintliche Nachteile in Vorteile verwandeln können: In einer heiklen weltpolitischen Lage, geprägt von autoritärem Gehabe, wird Merkels emotionale Sparsamkeit zur überlegenen Souveränität. ... Merkel stand neben dem unsteten US-Präsidenten wie die Verkörperung der Stetigkeit. Im Wahlkampf 2017 wird es darum gehen, wie stark solche Bilder sind, ob sie den grassierenden Überdruss an Merkel überlagern; ob sie stärker sind als die Frische, die Schulz verbreitet.“
Euphorie in Wählerstimmen verwandeln
Bis zur Wahl im Herbst ist es noch ein weiter Weg, gibt Der Standard mit Blick auf die aktuelle Euphorie in der SPD zu bedenken:
„Kaum einer kann sich erklären, was diesen Schulz-Hype ausmacht. Ja, die Zeit in der großen Koalition neben und unter der deutschen Kanzlerin Angela Merkel war für die SPD nicht einfach. Die roten Arbeitsergebnisse wie Rente mit 63, Mietpreisbremse, Mindestlohn wurden nicht richtig gewürdigt, in Umfragen schlugen sie sich nicht nieder. Und dann kommt Schulz, redet von 'Gerechtigkeit', tut so, als habe er mit den Sozialreformen von Gerhard Schröder absolut nichts zu tun, hält nicht einmal eine großartige, sondern nur eine artige Antrittsrede - und die Delegierten flippen vollends aus. Den Sozialdemokraten sei die Wellnessphase nach Jahren des Darbens gegönnt. Im Moment scheint alles möglich, auch die Kanzlerschaft. Aber dafür muss die Euphorie erhalten und bis zur Wahl im Herbst erst noch in konkrete Wählerzustimmung umgewandelt werden.“
Kanzlerin muss Flagge zeigen
Merkel ist nicht aggressiv genug, findet Le Figaro:
„Die Kanzlerin ist nicht eine dieser politischen Repräsentanten, die 'all ihre Energie darin investieren, in der Verfassung nach einer Entschuldigung dafür zu suchen, warum sie nichts machen können', wenn sie mit dem Rücken zur Wand stehen (um den sarkastischen Ausspruch des amerikanischen Ex-Präsidenten Roosevelt zu zitieren). ... Merkel ist wie ein politischer Feuerwehrmann. Als sie ihre Kandidatur ankündigte, sagte sie, dass sie 'kämpfen, nicht hassen' wolle. Doch genau das ist ihr Schwachpunkt. Manchmal muss man einem frontalen Konflikt gewachsen sein. Einer Kanzlerin, die in Erdoğans Büro mit zwei türkischen und keiner einzigen deutschen Flagge empfangen wird und über solch eine Geringschätzung kein Wort verliert, kann man den Willen zur Beschwichtigung vorwerfen. Eine Regierung muss aber Flagge zeigen. Wo ist Merkels Flagge?“