Wie soll Europa mit Rechtspopulisten umgehen?
Elf Millionen Wähler haben für Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National gestimmt. Obwohl sie damit klar unterlegen war, hat die französische Präsidentenwahl für viele Kommentatoren vor allem eines gezeigt: Welche Schlagkraft populistische Kräfte in Europa entwickeln können. Während einige davor warnen, ihre Gefahr für die Demokratie zu unterschätzen, sehen andere sie als wichtigen Teil des politischen Spektrums.
Die Sehnsucht nach dem starken Führer
Die Gefahr durch Rechtspopulisten ist längst nicht gebannt, stellt Naftemporiki fest und erklärt, warum diese von so vielen gewählt werden:
„Die Bürger wenden sich an Parteien und Kandidaten, die selbstverständliche demokratische Prinzipien und Grundrechte infrage stellen. Ein bemerkenswerter Anteil der Wähler ist fasziniert von Führern, die Stärke zeigen, die Feindbilder von denen zeichnen, die angeblich die Identität der Nation und den Zusammenhalt gefährden. Einige wählen sie, weil sie deren Ideen teilen. Aber viele wählen sie auch, um gegen das System zu protestieren, das ihnen nicht zuhört. Sie sind davon überzeugt, dass diese Politiker nicht alles umsetzen werden, was sie sagen. ... Das Parlament, die Justiz, die Institutionen werden ihre Pläne ausbremsen, so das Argument.“
Optimismus gegen Nationalismus
Der Kolumnist Bert Wagendorp von De Volkskrant kann dem Pessimismus und der großen Skepsis gegenüber dem neuen französischen Präsidenten nichts abgewinnen und sieht mit Macron eine neue Zeit anbrechen:
„Die Populisten hatten auf viel mehr gehofft. Nach dem Brexit-Votum und der Trump-Revolte wähnten sie sich schon als 'Master of the Universe': Das mysteriöse 'Volk', in dessen Namen die Rattenfänger angeblich sprechen, ist aber anscheinend nicht so leicht zu verführen wie erwartet. ... In den Analysen spürt man Erstaunen über den Sieg des gemäßigten Kandidaten. Wir brauchen offensichtlich mehr Zeit, um zu realisieren, dass der Populismus keine unaufhaltsame Dampfwalze ist und eine Antwort darauf gefunden werden kann. Jetzt müssen wir unseren Optimismus wiederfinden, gegen den eingefleischten Pessimismus und bedrohlichen Nationalismus der Populisten. ... Ich glaube, dass Macron Frankreich und Europa den Weg zeigen kann. ... Und ich glaube, dass wir rückblickend 2017 als ein Wendejahr betrachten werden, als das Jahr der Revolution. En Marche!“
Le Pens Wähler müssen abgeholt werden
Nun darf die Politik nicht die vielen Wahlverlierer vergessen, die hinter Marine Le Pen stehen, warnt der Politologe Valentin Naumescu im Blog Contributors:
„Auch diese Wähler sind Bürger Frankreichs und der EU, auch sie sind Steuerzahler und sie verdienen glaubwürdige Antworten auf ihre Sorgen. Marine Le Pen hat am 7. Mai fast elf Millionen Stimmen erhalten, und damit doppelt so viele, wie einst ihr Vater Jean-Marie Le Pen in der Stichwahl zur Präsidentschaftswahl 2002, als nur 17,8 Prozent der Wähler für den extremistischen Anführer stimmten. Die populistische, extremistische, anti-europäische Welle ist nicht vorbei. Die Zahlen zeigen im Gegenteil, dass sie höher schlägt denn je. Doch die EU hat in diesem Frühjahr eine lebenswichtige Dosis Sauerstoff erhalten und vor allem auch eine wichtige 'Gnadenzeit'. Das gibt ihr die Chance, sich in eine glaubwürdige Organisation zu verwandeln, die den Notwendigkeiten des 21. Jahrhunderts angepasst ist und ihre Bürger zufriedenstellen kann.“
Wie Populisten das System bereichern
Populistische Kräfte sind zum Regieren ungeeignet, doch liefern sie der Politik sinnvolle Anreize, findet die national-konservative und Berlusconi-nahe Tageszeitung Il Giornale:
„Die radikalen Parteien erfüllen ihren Sinn, wenn sie das politische Angebot in seiner Breite ergänzen. Doch weder sie noch ihre Führungskräfte sind geeignet, die Führung zu übernehmen. ... Das bedeutet aber nicht, dass diese Parteien überflüssig sind. Im Gegenteil. Sie sind ein konstanter Stachel und haben die Fähigkeit, ohne Vorurteile die tieferen Gefühle und Bedürfnisse der Bürger aufzugreifen, was dazu beitragen kann, dass die anderen Parteien nicht den Kontakt mit der Realität verlieren. ... Am Sonntag ist also nicht der Populismus gestorben, sondern die Idee, dass der Populismus eine autonome Mehrheit sein kann, und dies hat einen simplen Grund: In den Waggons kann man Radau machen, doch in die Lokomotive gehört ein vertrauenswürdiges, umsichtiges Personal mit Erfahrung, sonst ist die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass der gesamte Zug entgleist.“