Darf sich Polen noch gegen Flüchtlinge wehren?
Polens Regierung stellt sich auch weiterhin Forderungen entgegen, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Mittlerweile droht dem Land ein EU-Vertragsverletzungsverfahren, wenn es nicht bald die vereinbarte Zahl Geflüchteter aus anderen EU-Staaten aufnimmt. Einige Kommentatoren schämen sich für ihre politische Riege, andere finden den gesellschaftlichen Diskurs bedenklich.
Früher die Juden, heute die Flüchtlinge
Dziennik Gazeta Prawna meint, dass der Hass auf Flüchtlinge in Polen die gleiche Funktion erfüllt, wie einst der Antisemitismus. In politisch unsicheren Zeiten projizierten die Menschen ihre Ängste auf Migranten:
„Unsicherheit ist der größte Albtraum. Sie lässt uns keine Verschnaufpause, zwingt uns zu ständiger Anstrengung und lässt uns nicht los. Sie macht das Leben schwer. Zum Glück gibt es die Flüchtlinge. ... Sie bringen Kinder mit sich und Tonnen explosiven Materials, das diese Kinder in einigen Jahren in ein riesiges Feuer verwandeln werden. … Antisemitismus ist heute politisch inkorrekt und gesetzlich verboten. … Ganz anders ist es mit der Feindseligkeit gegen Migranten. Die liegt im Trend. Man kann sie offen zeigen und sich mit ihr rühmen. Sich beklagen, dass der Jude unser Land zerstören will? Geschmacklos. Angst vor dem Flüchtling verbreiten, der unter dem Vorwand des Syrienkriegs den Koran zu uns bringt, mit dem er uns auf den Kopf schlagen wird? Dieses Narrativ ist zeitgemäß.“
Ich schäme mich für Polen
Dass nun auch die Parteichefs der oppositionellen sozialliberalen PO und der Bauernpartei PSL angekündigt haben, in Polen keine Flüchtlinge aufnehmen zu wollen, ist eine bittere Enttäuschung für den ehemaligen Solidarność-Anführer Władysław Frasyniuk, der in Gazeta Wyborcza schreibt:
„Ich muss gestehen, ich war sprachlos. Bitte gestatten Sie, meine Herren, dass ich an die tragische Geschichte der Polen erinnere. Wir sind ein Volk, das seit 200 Jahren von Flucht betroffen ist. ... Wir hatten das Glück, dass irgendwo auf der Welt, in demokratischen Ländern, Führer regierten, die mit Mitgefühl auf unser Leid blickten. Als ich kürzlich die Herren Grzegorz Schetyna [von der PO] und Władysław Kosiniak-Kamysz [von der PSL] gehört habe, habe ich mich geschämt. … Ich habe schon lange aufgehört, mir vorzumachen, dass Jarosław Kaczyński [Chef der regierenden PiS] in der Lage ist, in sich auch nur einen Hauch Mitgefühl zu entdecken. Den Mangel an Mitgefühl aufseiten der Opposition betrachte ich als persönliche Niederlage der letzten 25 Jahre.“
Warschau sollte nicht für Fehler anderer büßen
Flüchtlinge sind ein Sicherheitsrisiko, auf das sich Polen nicht einlassen sollte, findet das regierungsnahe Portal wPolityce.pl:
„Die Rechte hat in Polen die Wahl gewonnen, weil sie den Bürgern Veränderung versprochen hat. In der Frage der Migrationskrise hat sie sich immer der selbstmörderischen Politik einer Willkommenskultur gegenüber Muslimen entgegengestellt. Diese Politik wurde von Deutschland betrieben, ohne dass man dabei irgendwen nach seiner Meinung gefragt hätte. Die Umverteilung von Flüchtlingen auf bestimmte Länder (darunter Polen) ist eine Methode, sich des Problems zu entledigen. Auch dagegen hat sich die Rechte gestellt. Wir wollen nicht mit unserer Sicherheit für Entscheidungen zahlen, die ohne uns getroffen wurden. Weder die Europäische Kommission noch Deutschland können in dieser Angelegenheit etwas von Polen verlangen.“
Der Polexit hat schon begonnen
Mit ihrem Nationalismus und Rassimus entfernt sich Polens Regierung immer weiter von den europäischen Werten, kritisiert Gazeta Wyborcza:
„Die Deutschen können es, die Franzosen, Engländer und Spanier auch, ganz zu schweigen von den Griechen und Italienern, Letten und Litauern. Aber das katholische Polen kann keine Menschen aufnehmen, die vor Bomben fliehen. ... Die PiS-Regierung distanziert sich von Europa, hält aber weiter die Hand auf. ... Doch Europa, das nach Jahren der Krise gerade begonnen hat, sich um Frankreich und Deutschland herum wieder aufzubauen, wird kein Land unterstützen, das nichts auf die europäischen Werte gibt. Der Polexit hat schon begonnen.“