Überlastetes Italien schlägt Alarm
"Wenn die einzigen Häfen, in die Flüchtlinge gebracht werden, italienische Häfen sind, stimmt etwas nicht", sagte der italienische Innenminister Marco Minniti bei einem Treffen mit Amtskollegen in Paris. Italien droht, die eigenen Häfen für ausländische Rettungsschiffe zu schließen. Kann Rom eine Wende in der Flüchtlingspolitik erzwingen?
Füchtlingskrise bleibt Zerreißprobe der EU
Europa braucht dringend eine Reform seiner Flüchtlingspolitik, findet Právo:
„Angela Merkel verspricht Hilfe. Gegen sie stellt sich Emmanuel Macron, und seine Position ist nachvollziehbar. Italien möchte, dass die Rettungsschiffe auch andere südeuropäische Häfen anlaufen können, vor allem französische, beispielsweise Marseille. Die Stadt hat aber bereits jetzt ein ernstes Problem mit der ethnischen Zusammensetzung ihrer Bevölkerung. ... Dass eine Lösung möglich ist, zeigt der Deal mit der Türkei. ... Wenn aber keine Lösung gelingt, werden sich die Spannungen Westeuropas mit Osteuropa vertiefen, wo man Flüchtlingsquoten ablehnt und keinen Grund sieht, diese Haltung zu ändern. Auch die Strategie humanitärer Hilfe durch [die EU-Grenzschutzagentur] Frontex und die NGOs müsste radikal erneuert werden. Die NGOs helfen nicht nur den Migranten, sie machen auch die Arbeit der Schleuser.“
Zuallererst für Stabilität in Nordafrika sorgen
Die EU kann Italien schwerlich helfen, solange sie die Situation in Nordafrika ignoriert, echauffiert sich der Islam-Experte Umberto De Giovannangeli in Huffington Post Italia:
„Europa hat das Südufer des Mittelmeers immer als Bedrohung betrachtet und nie als geopolitisch wichtigen Ort, mit dem es kooperieren muss. Es gelingt dem kurzsichtigen Europa nicht, den Fokus auf das zu legen, was in den nordafrikanischen Ländern passiert. In Ländern mit einer wachsenden und immer explosiver werdenden Instabilität. Allen voran Libyen. ... Jetzt so zu tun, als wolle man die Muskeln spielen lassen, und sei es auch 'nur' mit einer Schiffsblockade, während in Libyen über 200.000 bewaffnete Männer unter unzähligen Kommandos kämpfen, ist nicht nur waghalsig, sondern vor allem kolossal dumm.“
Die Stimme für die Flüchtlinge erheben
Malta sollte jetzt zu einem starken Anwalt der Hoffnungslosen werden, fordert Times of Malta:
„Wenn sich Malta unter der Voraussetzung internationaler Unterstützung dazu entschließt, seine Stimme für lebensrettende Initiativen zu erheben und diese aktiv zu unterstützen, könnte der kleinste EU-Staat das mitfühlende Herz Europas werden. Gandhi erklärte einst, man dürfe nicht unterdrückerische Haltungen bestimmen lassen. Und ganz in diesem Sinne könnte Malta zum mitfühlenden Anwalt für die Tausenden werden, die auf dem Mittelmeer auf Rettung hoffen. Maltas sechsmonatiger EU-Vorsitz ist gerade erst zu Ende gegangen, entsprechend hat Malta noch genug Einfluss, um die Einrichtung von Rettungszonen im südlichen Mittelmeer und mehr legale Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge nach Europa zu fordern.“
Italien hat recht und unrecht
Die taz wundert sich überhaupt nicht über die Drohung aus Rom:
„Spätestens seit 2015 heißt es immer wieder aus Brüssel, Italien müsse Unterstützung erfahren von den anderen europäischen Ländern. Geschehen ist jedoch äußerst wenig. ... Deshalb greift Rom jetzt zu seinem Ultimatum. Gelöst wäre mit einer Sperrung der italienischen Häfen schier gar nichts. Es ist unter medizinischen und humanitären Aspekten schlicht unmöglich, die oft genug überfüllten Rettungsschiffe zu tagelangen Fahrten Richtung Frankreich oder Spanien zu nötigen. So hat Italien recht und unrecht zugleich. Es ist legitim, dass das Land die immer wieder angekündigte Europäisierung der Flüchtlingsaufnahme durchsetzen will. Auf dem Rücken der Flüchtlinge und ihrer Retter lässt sich dieses Ziel jedoch nicht erreichen.“
Es fehlen sichere Häfen
Italien steckt in einer Zwickmühle, die mit dem Sturz des libyschen Revolutionsführers Gaddafi begann, erinnert Lidové noviny:
„Das Grundproblem ist, dass man die auf dem Mittelmeer geretteten Afrikaner nicht wieder nach Libyen schicken kann. Sie müssen in einen sicheren Hafen gebracht werden. Versuche Deutschlands, sie in sichere Häfen in Tunesien oder Ägypten zu bringen, wurden dort abgelehnt. Die libyschen Häfen sind nicht mehr sicher, seit europäische Bomber halfen, das Regime von Gaddafi zu beseitigen und damit den Vertrag über Flüchtlinge zunichtemachten, der ähnlich funktionierte wie der zwischen EU und Türkei. Westeuropa hat dem Schlamassel die Tür geöffnet und besitzt heute keine Kraft mehr, diese Tür wieder zu schließen.“
Australien könnte Vorbild sein
Berlingske schlägt eine europäische Einwanderungspolitik nach australischem Vorbild vor:
„Der Löwenanteil der Asylsuchenden wird kein Asyl bewilligt bekommen und sich als schlecht bezahlte illegale Landarbeiter in Südeuropa durchschlagen. ... Neue große Ghettos, tiefe Armut und eine noch stärker zersplitterte Gesellschaft sind die Folge. Australien hat die Zuwanderung aus Asien gestoppt, indem es festgelegt hat, dass niemand eine Aufenthaltsgenehmigung erhält, der illegal die Grenze übertreten hat. Europa muss nicht Australiens Asyl-Abkommen mit den östlichen Pazifikstaaten kopieren. Doch es muss deutlich machen, dass sich niemand Zugang erzwingen kann, indem er sich in ein Gummiboot setzt.“
Skrupellose Drohungen
Entsetzt über die Pläne Roms zeigt sich Avvenire:
„Die italienische Regierung kann und darf nicht mit etwas drohen, was sie weder tun kann noch darf. Es ist unvorstellbar, dass Italien Regeln aussetzt und somit verletzt, die nicht nur im Naturrecht verankert sind, sondern auch von präzisen Normen internationaler Kodizes festgesetzt werden. … Noch unvorstellbarer ist es, dass Italien wirklich so weit geht, vor seinen Häfen oder an der Grenze zu seinen Küstenmeeren Boote zu stoppen, die voller wehrloser Menschen sind, die soeben den Fluten entrissen wurden. Damit liefe Italien Gefahr, vor aller Welt eine weitere humanitäre Krise von unabsehbaren Ausmaßen auszulösen. Sie wäre verheerend sowohl für diejenigen, die ihr zum zweiten Mal zum Opfer fallen, als auch für diejenigen, die sie, politisch und menschlich gesehen, doppelt zu verantworten haben.“
Brüssel sollte die Alarmglocken hören
La Stampa findet, dass Italien die EU zurecht unter Druck setzt:
„Die Rettung der Flüchtlinge durch eine Unzahl von NGOs hat nicht nur den Schleusern das Leben erleichtert und dabei die Zahl der Opfer nicht gesenkt (denn mit den Rettungsaktionen ist der Flüchtlingsstrom angeschwollen). Sie macht auch die Kriterien hinfällig, die die Ankunftsländer zur Aufnahme verpflichten. ... 2015 hat sich die Flüchtlingskrise insbesondere in Griechenland und auf der Balkanroute abgespielt. 2017 werden die Brennpunkte Italien und der Kanal vor Sizilien sein. ... Doch wie damals wird sich der Druck nicht auf das Ankunftsland beschränken, sondern auf ganz Europa ausweiten. Erste Anzeichen sind bereits an den Grenzen zur Schweiz, zu Österreich und Frankreich bemerkbar. Und der Sommer hat eben erst begonnen. ... Italien hat gestern Alarm geschlagen und Brüssel sollte dem Land dafür dankbar sein.“