War der Flüchtlingsgipfel in Paris ein Erfolg?
Staats- und Regierungschefs aus Europa und Afrika haben in Paris nach Wegen gesucht, um die Migration über das Mittelmeer einzudämmen. Asylansprüche von Migranten könnten künftig bereits in afrikanischen Staaten geprüft werden. Einige Kommentatoren begrüßen diesen Ansatz, zweifeln aber an dessen Umsetzbarkeit. Andere sind schlicht entsetzt und bewerten das Treffen als Gipfel der Schande.
Schlüsselfragen bleiben unbeantwortet
Den Aufbau europäischer Asylzentren in Afrika hält der Kurier für Zukunftsmusik:
„Der Plan, tatsächlich Schutzbedürftige und Wirtschaftsflüchtlinge schon vor der Haustür fein säuberlich zu trennen, klingt auf den ersten Blick in der Tat bestechend. Gewaltig sind aber auch die Hürden für eine Realisierung von Aufnahmezentren von Asylwerbern mitten in Afrika. ... Der Wunsch nach legaler Migration direkt aus Afrika statt illegaler Schlepperei quer durch Europa bleibt dennoch richtig und ehrenwert. Davor ist aber jene Schlüsselfrage zu beantworten, die gestern Angela Merkel offen ansprach: Wie viele Flüchtlinge ist Europa bereit, in Zukunft weiter aufzunehmen? Sprich, frei nach Merkel: Schaffen wir das? Eine Antwort darauf ist nicht nur von der deutschen Kanzlerin frühestens nach der Wahl zu erwarten.“
Mord und Folter als akzeptable Nebenwirkungen
Die EU will Libyen als Grenzwächter anwerben, analysiert bitter Filippo Miraglia, Vizepräsident der linksgerichteten Non-Profit-Organisation ARCI auf seinem Blog bei der Huffington Post:
„Dabei lehrt die türkische Erfahrung, dass mit Geld alles zu machen ist. ... Sechs Milliarden Euro haben wir Erdoğan gegeben, dem ja die europäischen Demokratien so sehr am Herzen liegen. (Dass er gleichzeitig den türkischen Rechtsstaat unterminiert und Mord an den Kurden verübt sind ja nur Kollateralschäden). Jetzt machen wir das gleiche mit [dem Ministerpräsidenten der international anerkannten Übergangsregierung] Fajes al-Sarradsch in der libyschen Hölle. Ziel ist, die Flüchtlinge zu stoppen, natürlich zu ihrem Guten. Die Frauen werden weiter vergewaltigt, Tausende von Menschen werden weiter erpresst und gefoltert. Aber natürlich sind auch das nur akzeptable Kollateralschäden.“
Die Rechte der Schutzbedürftigen bewahren
Europa darf seine Verantwortung für die Geflüchteten nicht von sich schieben, mahnt The Guardian:
„Im Zentrum der Gespräche stand die Idee, Migrationsströme dort aufzuhalten, wo sie entstehen. Das ist zwar sinnvoll, aber nur, wenn die Rechte der dringend schutzbedürftigen Migranten gewahrt bleiben. Europas Strategie darf nicht bedeuten, dass man das Problem noch weiter von den eigenen Küsten wegschiebt statt sich an einer Lösung zu versuchen. ... Tatsächlich lagert Europa sein Zuwanderungsproblem nun in afrikanische Länder aus, nachdem es einen Teil des Problems schon in die Türkei ausgelagert hat. So verschieben sich zwar die Migrationsrouten - die menschlichen Tragödien aber bleiben.“
EU-Handelspolitik macht alles zunichte
Um Fluchtursachen wirksam zu bekämpfen, muss die EU ihre Handelspolitik gegenüber Afrika ändern, meint der Deutschlandfunk:
„Während man auf der einen Seite ... mit Geld und Mühe versucht, die Menschen in ihrer Heimat zu halten, reißt Europa das alles mit seiner Handelspolitik wieder ein: In sogenannten Wirtschaftspartnerschaften sollen die Länder Afrikas ihre Märkte für EU-Produkte stärker öffnen - sonst können sie ihre Produkte nicht mehr vergünstigt nach Europa exportieren. Gleichzeitig sichert sich die EU Zugang zu wertvollen Ressourcen, die in Europa zum Beispiel für Computerchips benötigt werden. Wertschöpfung findet bei uns statt - und nicht in Afrika. Solange Europa in den Ländern Afrikas weiterhin einen billigen Rohstofflieferanten und einen Markt für seine Agrar-Überschüsse sieht, ist jeder Euro, der gegen Fluchtursachen eingesetzt wird, ein vergebener Euro.“
Erst Libyen auf die Beine helfen
Das von Macron initiierte Treffen verdient nur dann Beifall, wenn wenigstens hinter verschlossenen Türen auch über die unsäglichen Bedingungen für die Flüchtlinge in den Lagern in Libyen geredet wurde, meint Hospodářské noviny:
„Die Menschen in diesen Lagern müssen Schläge ertragen, Vergewaltigungen, Diebstähle, kurz: die schlimmsten Zustände. Wer - wie unlängst ausgerechnet Macron - fordert, dass in Libyen Zentren entstehen sollen, in denen sich die Flüchtlinge schon auf dem afrikanischen Kontinent mit ihrem Wunsch nach Asyl in Europa registrieren lassen können, sollte sich vorher besser ansehen, was in dem zerrissenen nordafrikanischen Land tatsächlich vorgeht. Solche Zentren noch in diesem Jahr sind Utopie. Libyen muss geholfen werden. Nicht nur, damit es wieder auf die Beine kommt. Sondern auch, damit es beginnt, die Flüchtlinge wie Menschen zu behandeln.“
Worten müssen nun Taten folgen
Auch wenn konkretere Vorschläge nicht geschadet hätten, war der Gipfel auf diplomatischer Ebene ein Erfolg, urteilt La Stampa:
„Gestern Abend haben vier führende europäische Staats- und Regierungschefs im Beisein der Präsidenten Libyens, Nigers und Tschads sowie der EU-Außenbeauftragten, den italienischen Ansatz aufgegriffen: Das Flüchtlingsproblem muss in Afrika gelöst werden. Wenn nun auch Taten folgen, dann sind wir endlich auf dem richtigen Weg. ... Zwar ist eine wahre 'europäische' Anstrengung, wie sie sich unser Premier wünscht, noch in weiter Ferne. … Doch ein echtes Einverständnis zwischen Macron, Rajoy, Merkel und Gentiloni ist mehr wert als jede Erklärung aus Brüssel.“