Ein neuer Champion im Zuggeschäft?
ICE-Hersteller Siemens und TGV-Bauer Alstom legen ihre Zugsparten zusammen. Mit ihrer Partnerschaft wollen sie nach eigenem Bekunden die europäische Idee umsetzen und einen europäischen Champion der Eisenbahnindustrie schaffen. Die Fusion des Zuggeschäfts wird schlimme Folgen haben, fürchten einige Kommentatoren. Andere halten die Aufregung für völlig übertrieben.
Alstom doch noch verstaatlichen
Die Allianz der Zugbauer sollte verhindert werden, fordert der frühere sozialistischen Wirtschaftsministers Arnaud Montebourg. Gemeinsam mit anderen kürzlich abgeschlossenen Verkäufen französischer Unternehmen wird sie schlimme Folgen für die nationale Wirtschaft haben, kommentiert er in Le Monde:
„Wie kann man nur die katastrophalen Folgen außer Acht lassen, die diese Entscheidungen mittelfristig haben werden? Die Entscheidungszentren werden ins Ausland verlagert und dort gelten andere Interessen. Unser Land wird technologisch verarmen. Tausende Jobs gehen verloren, was zunächst vertuscht wird, am Ende aber immer ans Licht kommt - ein Desaster für viele Landstriche und Regionen. Es ist nicht zu spät, um Alstom noch zu verstaatlichen. … Es ist nicht zu spät, um die Verhandlungen wiederaufzunehmen und auf eine Allianz unter Gleichen hinzuwirken, nach dem Vorbild des vor 20 Jahren für Airbus entwickelten Modells.“
Die Produktqualität ist entscheidend
Die in Frankreich zu vernehmende Empörung über die Fusion des Zuggeschäfts ist völlig fehl am Platz, findet hingegen der liberale Ökonom Jacques Garello in Contrepoints:
„Es besteht kein Grund für nationalistische Gefühlsausbrüche. … Die Aufregung rührt daher, dass es hier um ein großes Unternehmen aus dem [wichtigsten französischen Aktienindex] CAC 40 geht. Die Wirtschaftsblätter interessieren sich vorrangig für diese Konzerne, auch wenn sie bei Weitem nicht das gesamte französische Wirtschaftsgefüge verkörpern. ... Echten Fortschritt haben wir dann erzielt, wenn die Franzosen endlich verstehen, dass es keinen Wirtschaftskrieg gibt, dass das Wohlergehen einer Firma nichts mit nationaler Souveränität zu tun hat, und dass die Qualität der Güter und Dienstleistungen, die für die Verbraucher der fünf Kontinente bestimmt sind, das Entscheidende ist.“
Notwendige Vernunftehe
Angesichts der zunehmenden Konkurrenz aus Fernost war die Zug-Allianz überfällig, findet L'Echo:
„Die Fusion ist eine gute Nachricht für den europäischen Kontinent, dessen Bahnmarkt sich derzeit im Umbruch befindet. Die EU plant für den Zeitraum 2020 bis 2030 Investitionen in Höhe von 500 Milliarden Euro, um den Netzausbau für die wichtigsten Trassen abzuschließen. Diese Herausforderung will gemeistert werden. Der Wettbewerb ist allerdings hart. China hat seinem Zugbauriesen CRRC globale Ambitionen verliehen. In Asien, in Afrika und sogar in Europa verdrängen chinesische Transportunternehmen ihre europäischen Konkurrenten. Die Offensive deutet auf eine langfristige Neuerung hin: die Wiederbelebung der Seidenstraße. Die zutiefst europäische Fusion ist eine Vernunftehe, basierend auf neuem Einvernehmen zwischen Frankreich und Deutschland.“
Nationale Privilegien gefährden Effizienz
Obwohl die Fusion als Verwirklichung der europäischen Idee gepriesen wird, ist sie geprägt von der Durchsetzung nationaler Interessen, analysiert die Neue Zürcher Zeitung:
„Der angebliche neue europäische Champion im Eisenbahngeschäft ist … alles andere als das Resultat eines freien Spiels der Marktkräfte. Die französische Regierung mischte sich in die Verhandlungen stark ein und sicherte sich erhebliche Arbeitsplatzgarantien, welche die Effizienz des neuen Konzerns gefährden. Das Hauptquartier des neuen Konglomerats wird sich im Grossraum Paris befinden, die Führung des in Paris kotierten Konzerns übernimmt der bisherige Alstom-CEO. Die Arbeitsplätze, Werke und F+E-Investitionen sollen in Frankreich in den vier Jahren 'nach der effektiven Umsetzung der Fusion' unantastbar bleiben, wie Wirtschaftsminister Le Maire betonte.“
Frankreichs Kapitalismus stärken
Für David Barroux, Chefredakteur von Les Echos, sind die Fusionspläne Anlass für einen Appell an Frankreichs Politik:
„Die Politiker müssen nun zugeben, dass die Schwäche unseres Kapitalismus der Grund dafür ist, dass französische Unternehmen sich eher als Beute denn als Raubtiere erweisen. Um in Verhandlungen über notwendige Fusionen Entscheidungsmacht zu haben, brauchen wir reiche und starke Unternehmen. Die Politik muss daher alles dafür tun, dass unser Kapitalismus gedeiht, und zwar schnell. Sonst müssen wir davon ausgehen, dass in den nächsten Jahren weitere Siemens aus guten Gründen andere Alstoms schlucken werden und dabei Versprechen geben, deren Einhaltung alles andere als sicher ist.“