Verdient Thaler den Wirtschaftsnobelpreis?
Der US-Ökonom Richard H. Thaler erhält den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Der 72-Jährige forscht zu psychologischen Faktoren, die hinter wirtschaftlichen Entscheidungen stehen. Endlich mal ein Nobelpreis, der mit dem Verbraucher zu tun hat, freuen sich einige Kommentatoren. Bei anderen hinterlassen Thalers Thesen Skepsis.
Preiswürdig, aber nicht zu Ende gedacht
Thaler hat wichtige Denkanstöße zu scheinbar irrationalen wirtschaftlichen Entscheidungen von Menschen gegeben, doch seine Schlussfolgerungen sind wenig hilfreich, urteilt Die Welt:
„Dank Thaler verstehen wir viel präziser, wie der Mensch vom Ideal des 'Homo oeconomicus' abweicht. Dank Thaler wissen wir genauer, warum in Krisen die Löhne stabil bleiben (weil Mitarbeiter Kürzungen als grob unfair empfinden). Oder warum Sparer verlustbringende Aktien lange halten (weil wir Dingen, die wir besitzen, einen besonders hohen Wert zumessen). Die große Frage ist, ob Thalers Schlussfolgerungen so richtig sind wie seine Analysen. Wer bestimmt, wo Übervater Staat eingreifen darf? Wo sind die Grenzen? Und vor allem: Wer sagt eigentlich, dass ein aus irrationalen Individuen zusammengesetztes Gemeinwesen kollektiv weniger irrational agiert als der Einzelne für sich?“
Ein wohltuender Anstupser
Endlich geht es bei dem Preis auch einmal um den Verbraucher, freut sich La Repubblica:
„Der Nobelpreis führt die Wirtschaft für ein Jahr auf den Boden der Tatsachen zurück - in das Reich der gewöhnlichen Sterblichen. Zu uns, die wir die Geldbörse und Leben betreffende Entscheidungen nicht nur mit dem Rechenschieber, sondern auch mit dem Herzen und dem Instinkt treffen. Dank seiner Forschungen, die sich zwischen Neurologie, Psychologie und klassischer Wirtschaft bewegen, hat Thaler die Theorie des 'Nudge' entwickelt. Das gezielte Anstupsen soll die Verbraucher zu vorherbestimmten und (hoffentlich) tugendhaften Verhaltensweisen verleiten. ... Auf den Vorwurf, sein 'libertärer Paternalismus' sei eine Waffe der Massenmanipulation, antwortet der frisch gebackene Nobelpreisträger, dass es darauf ankomme, wer die Waffen der Verhaltensökonomie einsetzt und wie.“
Angriff auf den Homo Oeconomicus
Dass Thaler die Annahme vom Homo Oeconomicus, der sich nie von Gefühlen leiten lässt, als realitätsfern zurückwies, hat ihm zu Recht den Nobelpreis eingebracht, meint Polityka:
„Seine Hauptthese besagt, dass der Homo oeconomicus nicht existiert. Warum? Aus drei Gründen: Erstens, weil kein menschliches Wesen völlig rational ist. ... Zweitens: Selbst wenn Menschen rational wären, dann hätten sie trotzdem bestimmte 'gesellschaftliche Präferenzen', die aus ihrem Wertesystem resultieren. ... Und drittens bleibt noch der Mangel an Selbstkontrolle. Jemand kann glauben, dass Sparen eine Tugend ist, aber er wird nicht sparen, weil er hier und jetzt konsumieren will. Verhält sich so der Homo Oeconomicus? Nein. ... Dafür, dass Richard Thaler aus Chicago dem Homo Oeconomicus einen Schlag versetzt, bekommt er den Nobelpreis 2017. Zu Recht.“