Bedroht US-Prozess Erdoğan und die Türkei?
Seit dem 30. November läuft in New York der Prozess um den türkisch-iranischen Geschäftsmann Reza Zarrab. Gleich zu Beginn hat dieser den türkischen Präsidenten Erdoğan und einige seiner Vertrauten schwer belastet. An Geschäften, die Zarrab unter Umgehung der Iran-Sanktionen abwickelte, hätten diese gut verdient oder sie zumindest gebilligt. Der Prozess könnte der Türkei in verschiedener Hinsicht gefährlich werden, meinen Kommentatoren.
Dollar-Lizenz für türkische Banken bald futsch?
Was während des Prozesses ans Tageslicht kommt, könnte verheerende Folgen für Ankara haben, vermutet Contributors:
„Sollte der Prozess in New York zweifellos belegen, dass die Umgehung der US-Sanktionen gegen Iran in Ankara Staatspolitik war, könnten die Strafen viel mehr als nur den Einsturz der daran beteiligten [staatlich türkischen] Halkbank bewirken: Die US-Behörden könnten dieser Bank und auch anderen, von denen man eine Verwicklung annimmt, die Lizenz für Dollargeschäfte entziehen. Im bereits prekären Zustand der türkischen Währung und Wirtschaft würde das zu einem Desaster führen. Und ein größerer innenpolitischer Nachhall droht durch die Koppelung an einen anderen Skandal. ... Angehörige der Familie Erdoğan und hohe Verantwortliche haben Millionen Dollar im Steuerparadies Isle of Man geparkt.“
AKP schenkt den USA einen unnötigen Trumpf
Der Zarrab-Fall konnte überhaupt nur solche Auswirkungen entfalten, weil die türkische Regierungspartei AKP nicht rechtzeitig die Korruptionsvorwürfe in den eigenen Reihen aufgeklärt hat, findet Karar:
„Das Thema Bestechung ist für uns weder neu noch überraschend. Die türkische Öffentlichkeit war tagelang damit beschäftigt, es gab Forderungen nach 'Säuberungen' innerhalb der AKP und Ende 2015 stimmte [der damalige Premier] Davutoğlu zu, dass die betreffenden Minister vor dem obersten Gerichtshof angeklagt werden. Doch Erdoğan behinderte damals diese Strafverfolgung, weil er die Konsequenzen für gefährlich hielt, oder mit anderen Worten: aus Angst dass die Regierung und er selbst daran Schaden nehmen könnten. ... Wir bleiben beim Thema Korruption fragil. ... Ist es klug, die USA für einen Feind zu halten und ihnen zugleich einen Trumpf in die Hand zu geben?“
Regierungsgebaren kommt Türkei teuer zu stehen
Für die Süddeutsche Zeitung liegt der eigentliche Skandal darin, dass die türkische Regierung lieber Schaden für das ganze Land in Kauf nimmt, als Aufklärung über die Vorwürfe zu erlauben:
„Seit Wochen läuft in der Türkei eine antiamerikanische Kampagne, die darauf abzielt, das Verschwörungs-Narrativ aufrechtzuerhalten. Dabei ist die Türkei außenpolitisch ohnehin schon isoliert. Sie hat sich mit wichtigen westlichen Verbündeten überworfen, vor allem das Verhältnis zu den USA ist so schlecht wie nie. Die Lira befindet sich auf Talfahrt, weil nun Strafen gegen türkische Banken im Raum stehen, sollte sich herausstellen, dass diese am Bruch internationaler Sanktionen beteiligt waren. All das destabilisiert ein ohnehin verunsichertes Land. ... Erdoğan muss immer mehr um sich schlagen, um die Vorwürfe abzuwehren. Das kommt das Land teuer zu stehen.“
Noch mehr antiamerikanische Propaganda
Der Prozess dürfte die Beziehungen zwischen den USA und der Türkei extrem belasten, warnt Offnews:
„Das Erdoğan-Regime hatte den Korruptionsskandal um Reza Zarrab bereits sorgfältig vertuscht, doch jetzt flammt er wieder auf. Indem er in den USA vor Gericht aussagt, wird Zarrab von einem lokalen türkischen zu einem internationalen Problem. Die Zeugenaussagen des 'Philanthropen' bringen unbequeme Wahrheiten über Erdoğan und seinen Umkreis ans Tageslicht. Demnächst werden wir viele Fakten erfahren, die die Machthabenden in der Türkei lieber vertuschen würden. Höchstwahrscheinlich wird Erdoğan die antiamerikanische Propagandamaschinerie ins Laufen bringen und somit die türkisch-amerikanischen Beziehungen auf eine Zerreißprobe stellen.“
Wir werden nicht zu den Schuldigen halten
Türkische Regierungsvertreter und regierungstreue Medien appellieren derzeit an das Volk, angesichts des Zarrab-Prozesses zusammenzuhalten, da man im gleichen Boot sitze. Die liberale Internetzeitung T24 sieht das ganz anders:
„Welcher Platz soll denn für unsereins sein auf diesem Schiff, auf dem Sie sich so amüsieren? Ein Schiff, auf dem das Steuerrad sehr weit entfernt ist. Auf dessen Deck es sogar schwierig geworden ist, sich frei zu bewegen. ... Durch Leute wie Zarrab und die, die von ihnen im Voraus bezahlt wurden, bleibt hier nicht einmal mehr genug Luft zum Atmen. ... Und jetzt sollen wir das Schiff aus dem Sturm retten und es mit um unsere Körper gebundenen Seilen an Land ziehen, richtig? Weil wir ja schließlich alle 'von hier' sind? Nein meine Herren, nein! Hören Sie auf mit dem Gerede vom selben Boot. Ein gemeinsames Boot gibt es nicht. Wer untergeht, das sind Sie!“
Washington will Erdoğan stürzen
Der Prozess gegen Reza Zarrab ist eindeutig politisch motiviert, findet die regierungstreue Sabah:
„Die von den USA begonnene Operation ist klar. Das Ziel sind die Türkei und Recep Tayyip Erdoğan. ... Seit drei Jahren versucht man, den Plan einer AKP und einer Türkei ohne Erdoğan zu verwirklichen. ... Nach dem [Prozessbeginn am] 27. November 2017 wird eine entsetzliche Angriffswelle gegen die türkische Republik und ihren Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan beginnen. Die Angriffe gegen Erdoğan werden sich nicht ausschließlich gegen Erdoğan richten. Ganz klar sind der türkische Staat und die türkische Republik das Ziel. Alle Bürger sind das Ziel. ... Wir werden Widerstand leisten gegen die Operationen, die gegen Erdoğan und die Türkei zielen und diese weiterhin abweisen. Wer Angst vor dieser schweren Schlacht hat und sich ihr entgegenstellt, ist niederträchtig und wird dafür teuer bezahlen.“
Ankara sollte rationaler agieren
Ankara sollte sich hüten, über den Fall Zarrab als Verschwörung gegen die Türkei zu sprechen, rät Hürriyet:
„In Amerika ist die Justiz unabhängig, aber der US-amerikanische Staat könnte während der Untersuchungen durch Exekutivorgane wie CIA oder FBI Einfluss nehmen. Doch am Ende wird die Akte geöffnet und vor den Augen der Welt wird ein öffentlicher Prozess geführt. ... Ankara sollte juristische Argumente verwenden. Die öffentlichen Erklärungen der türkischen Regierung haben kein gutes Ergebnis gebracht, eher im Gegenteil, wenn man die negativen Auswirkungen in der amerikanischen Presse betrachtet. ... Man könnte Zarrab einfach als den Fall eines Geschäftsmannes betrachten, der das Embargo durchbrochen und Geld- und Goldverkehr betrieben hat.“