Pikante Lizenzverlängerung für Glyphosat
Das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat darf in der EU weitere fünf Jahre auf die Äcker gesprüht werden. Dafür votierten am Montag 18 von 28 Ländern - wobei Deutschland das Zünglein an der Waage war. Bislang hatte sich Berlin bei dem Thema enthalten. Während einige Journalisten erzürnt darüber sind, wie die Entscheidung zustande kam, warnen andere davor, den Unkrautvernichter zu verteufeln.
Wenn das Geld und nicht die Vernunft regiert
Die EU schlägt alle Warnungen vor Krebsgefahr in den Wind und stellt sich der Entwicklung einer nachhaltigen Landwirtschaft entgegen, poltert der Gründer der Slow-Food-Organisation Carlo Petrini in La Repubblica:
„Zum x-ten Mal müssen wir feststellen, dass in der EU die Entscheidungen nicht im Interesse der Bürger gefällt werden, sondern im Sinne von Zugeständnissen und finanziellen Segnungen erfolgen. … Die unrühmliche Unentschlossenheit [der EU-Regierungen] lässt zudem jede positive Zukunftsvision vermissen. Wie wird die Landwirtschaft der Zukunft aussehen? ... Die europäischen Institutionen scheinen nicht weiter zu blicken als bis zu den Pestizid-Beständen der multinationalen Konzerne. Deshalb müssen wir nicht nur um unsere Gesundheit bangen, sondern auch noch lange darauf warten, dass die tugendhafte Entwicklung beginnt, die die Menschheit so dringend braucht.“
Nicht immer Brüssel zum Sündenbock machen
Die Debatte um die Glyphosat-Zulassung zeigt einmal mehr ein Grundproblem im politischen Diskurs vieler EU-Staaten auf, erklärt Financial Times:
„Das größte Problem ist die schon lange bestehende Neigung der einzelnen Regierungen, sich vor Entscheidungen zu drücken, wenn diese der EU-Kommission übertragen werden können und man so die Brüsseler Technokratie verantwortlich machen kann. Eine Stimmenthaltung machte in diesem Fall überhaupt keinen Sinn, denn die einzelnen EU-Länder haben immer noch das Recht, Glyphosat auf staatlicher Ebene zu verbieten, so wie Frankreich es plant. Wenn es den politischen Führern in der EU mit ihrem Ziel ernst ist, die Begeisterung der Öffentlichkeit für das europäische Projekt neu zu entfachen, dann gibt es für den Anfang ein einfaches Rezept: Erzählt den Wählern nicht länger, dass Brüssel an allem schuld sei, was ihnen nicht gefällt.“
So gefährlich wie Wurst und Schinken
Für Alarmismus angesichts der Verlängerung der Glyphosat-Zulassung hat tagesschau.de nichts übrig:
„Schon im vergangenen Jahr hatte die europäische Lebensmittelbehörde EFSA grünes Licht gegeben. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung, BfR, und zuletzt die europäische Chemikalienagentur ECHA hatten Glyphosat, bei fachgerechter Anwendung, Unbedenklichkeit bescheinigt. Dass eine Unteragentur der [Weltgesundheitsorganisation] WHO den Wirkstoff als 'wahrscheinlich krebserregend' einstuft, steht dazu nur scheinbar im Widerspruch - denn die prüft nicht das konkrete Risiko für Mensch und Tier, sondern testet, ob ein Stoff prinzipiell und in höheren Dosen gesundheitsschädlich sein könnte. Wurst und Schinken fallen für die Forscher übrigens in dieselbe Kategorie.“
Agrarindustrie wird ewig dankbar sein
Die taz ist erzürnt über den Alleingang des CSU-Landwirtschaftsministers bei der Abstimmung in Brüssel:
„[D]ie Regularien der Bundesregierung [sind] klar: Wenn sich das Kabinett nicht einigen kann, muss sich Deutschland in Brüssel enthalten. Darüber hat sich Schmidt einfach hinweggesetzt - wohl in der Annahme, dass ihm die Dankbarkeit der Agrarindustrie mehr nützt, als ihm der Ärger der Bevölkerung schadet. … Wenn die SPD noch irgendeine Form der Selbstachtung hat, muss sie darauf bestehen, dass Schmidt als Minister zurücktritt, bevor auch nur ein weiterer Gedanke an eine neue Große Koalition verschwendet wird. Und wenn schon die Entscheidung auf EU-Ebene durch das dreiste Vorgehen des CSU-Manns gegen den erklärten Willen der SPD gefallen ist, müssen die Sozialdemokraten nun dafür sorgen, dass Glyphosat zumindest in Deutschland verboten wird.“
Handstreich vor der Monsanto-Übernahme
Das Einknicken Berlins kommt nicht von ungefähr, mutmaßt La Repubblica:
„In Brüssel wird erzählt, dass Deutschland seine Meinung geändert habe, nachdem es Zusicherungen erhalten hatte, beim Schutz der Biodiversität und der Tiere sowie hinsichtlich der Einschränkungen der Anwendung von Glyphosat im privaten Bereich. Tatsache bleibt, dass die Enthaltung Deutschlands damit begründet war, dass es innerhalb der Regierung entgegengesetzte Meinungen gab. Doch derzeit ist diese Regierung nur noch für die Abwicklung der laufenden Geschäfte zuständig. Grund genug für böse Stimmen, von einem Handstreich zu sprechen: … Denn wer denkt bei Glyphosat nicht an den US-Konzern Monsanto, dessen Haupteinnahmequelle das Unkrautvernichtungsmittel ist? Soll nicht Monsanto von dem deutschen Konzern Bayer übernommen werden?“
Verbraucher müssen ihre Macht nutzen
Über den Einsatz von Glyphosat entscheiden auch die Verbraucher, betont die Wiener Zeitung:
„Sie können mit ihrer Marktmacht die Landwirtschaft zum Umdenken bewegen. Dass sie dabei höhere Preise in Kauf nehmen müssen, versteht sich von selbst. Gleichzeitig braucht es aber auch mehr Transparenz: Die Konsumenten haben ein Recht auf detaillierte Informationen, wie die Produkte, die auf ihren Tisch kommen, erzeugt worden und welche Chemikalien dabei zum Einsatz gekommen sind. In Österreich liegt - was Lebensmittel betrifft - das Qualitätsbewusstsein über dem EU-Schnitt, und auch bei Österreichs Landwirten gibt es ein überdurchschnittliches 'Bio'-Bewusstsein. Mit etwas Engagement könnte man das Land in eine glyphosatfreie Zone verwandeln.“
Alles bleibt beim Alten
So wird in Europas Landwirtschaft kein Umdenken stattfinden, bedauert die Tageszeitung Die Presse:
„Es gibt eine Verlängerung, die wieder verlängert werden kann. Und es gibt keine Motivation für die Landwirte umzudenken, der aufwendigeren mechanischen Bearbeitung der Böden wieder den Vorzug zu geben. Es gibt keine Motivation, den natürlichen Kreislauf von Nützlingen und Schädlingen wieder herzustellen ... Es gibt letztlich keine Motivation, von agrarischen Radikalmethoden Abschied zu nehmen, Anreize für eine umwelt- und konsumentenfreundliche Lebens- und Futtermittelherstellung zu schaffen. Glyphosat bleibt und alles andere auch.“