Brexit: Wird Nordirland May zum Verhängnis?
Mit einem Kompromissvorschlag ist Premierministerin May am Montag zu den Brexit-Verhandlungen nach Brüssel gereist: Nordirland sollte einen Sonderstatus bekommen, um eine harte innerirische Grenze zu vermeiden. Doch offenbar auf Druck der nordirischen Unionisten-Partei DUP zog sie diesen wieder zurück. Kommentatoren sehen die Premierministerin in der Klemme.
Belastungsprobe für Großbritanniens Einheit
Dass sich nun auch Schottland, Wales und London einen Sonderstatus wünschen, wie er für Nordirland nach dem Brexit angedacht wird, ist brandgefährlich, warnt Financial Times:
„Die Regierungschefin muss sicherstellen, im weiteren Verlauf der Brexit-Gespräche das ganze Land an Bord zu haben. Eine provisorische Schwindelei bei der Frage der inneririschen Grenze ist im Moment die beste und einzige Möglichkeit, den Brexit-Prozess weiterzuführen. Doch am Ende wird das komplexe Problem gelöst werden müssen. In der Folge stehen noch schwierigere Entscheidungen an. Wenn May verhindern will, dass sich in den einzelnen Landesteilen ein hässlicher Nationalismus breit macht, muss Großbritannien die EU als Einheit verlassen - oder drin bleiben.“
Boris Johnson steht schon in den Startlöchern
Außenminister Boris Johnson steht schon bereit für den Fall, dass Theresa May das Brexit-Dilemma zu Hause nicht lösen kann, fürchtet Upsala Nya Tidning:
„Die Galionsfigur der Brexit-Befürworter hat die ganze Zeit im Verborgenen gelauert. Im Grunde genommen war er nie ein überzeugter Befürworter des EU-Austritts; für den Brexit war er nur aus populistischen Erwägungen, die das Establishment erschüttern und seiner Karriere nutzen sollten. ... Auch wenn wir schon genug andere Sorgen haben: Damit werden wir leben müssen. Theresa May und Jean-Claude Juncker werden am Wochenende einen neuen Versuch unternehmen. Doch der Schuh drückt nicht in Brüssel.“
Das Dilemma der Theresa May
Die irische Frage wird May zu Fall bringen, prophezeit La Repubblica:
„May ist sprichwörtlich zwischen Hammer und Amboss geraten: Wenn sie die EU zufriedenstellt und Nordirland einen Sonderstatus einräumt, bekommt sie es mit den protestantischen Unionisten der DUP zu tun, die sich vehement gegen jede Differenzierung zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinten Königreichs stemmen. ... Und da die DUP mit ihrer Handvoll Abgeordneten der britischen Premierministerin im Parlament die Mehrheit garantiert, würde May ihren Posten verlieren. ... Stellt die konservative Regierungschefin aber die DUP zufrieden, kommt es zu keiner Einigung mit der EU und sie wird sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, Großbritannien in den wirtschaftlichen und juristischen Abgrund geführt zu haben. Das Chaos könnte Labour-Chef Jeremy Corbyn in die Downing Street bringen.“
Pakt mit Unionisten rächt sich bitter
Theresa May darf sich von der nordirischen DUP bei den Brexit-Verhandlungen nicht in Geiselhaft nehmen lassen, appelliert The Guardian:
„Der gestrige Montag könnte der Tag gewesen sein, an dem Theresa May mit ihrer Brexit-Strategie entgleiste. ... Hätte sie beim Thema EU-Austritt anfangs mehr Flexibilität gezeigt und nach der Parlamentswahl nicht ihr erbärmliches Regierungsabkommen mit der DUP geschlossen, hätte sie gestern wohl eine Einigung in Brüssel erzielt. Eine solche wünschen sich die meisten Menschen auf beiden Inseln. Es ist im Interesse beider Staaten, dass es keine harte Grenze in Irland gibt. Genauso wichtig ist aber, dass ganz Großbritannien in der Zollunion bleibt. Die DUP darf in beiden Fragen kein Vetorecht erhalten.“
Kompromiss wäre zugunsten Londons gewesen
Dass die DUP die Kompromissformel für die innerirische Grenze ablehnte, findet RTE News unverständlich und erläutert, warum:
„Die Formulierung, dass es eine 'anhaltende regulatorische Angleichung' zwischen Nordirland und der EU geben müsse, lässt viel Spielraum für Zweideutigkeit, Schummelei und kreative Auslegung. Sie machte eine Einigung für die britische Seite deutlich attraktiver, denn sie legt nahe, dass das britische Parlament in Brüssel gemachte EU-Regelungen nicht eins zu eins kopieren muss, sondern seine eigenen Gesetze machen kann - so lange diese weitgehend auf das Gleiche hinauslaufen wie entsprechende EU-Regelungen.“