In Trippelschritten zu einer Bundesregierung?
In Deutschland loten Konservative und SPD seit Sonntag aus, ob sie sich vorstellen können, in Regierungsverhandlungen zu treten. Eine Neuauflage der Großen Koalition wollen laut Umfragen derweil nur noch 45 Prozent der Bürger. Was würde die Neuauflage der GroKo bedeuten - und was hätte ein Scheitern der Gespräche zur Folge?
Hier spiegelt sich Europas Spaltung
Sollte eine Große Koalition zustande kommen, wird Merkel bei der Europapolitik einen Spagat hinlegen müssen, analysiert die Tageszeitung Magyar Nemzet:
„Bei den derzeitigen Sondierungsgesprächen sind nur zwei markante Meinungen bekannt: jene der CSU und jene der SPD. Während im Hinblick auf die Zukunft der EU die CSU ganz auf der Linie der ostmitteleuropäischen Staaten ist, lehnt sich die SPD an Paris an. … Natürlich ist auch Merkel bewusst, dass sich innerhalb der Union neue Kräfteverhältnisse herausgebildet haben. Die Vorstellungen von Emmanuel Macron und Viktor Orbán etwa könnten unterschiedlicher nicht sein. Dieser Gegensatz wird auch in einer möglichen neuen Regierung durch SPD und CSU manifest sein. Merkel wird demnach nicht nur in Europa, sondern auch innerhalb ihrer eigenen Regierung die Wogen glätten müssen.“
Scheitern könnte Merkels Ende sein
Die Zukunft von Kanzlerin Merkel steht bei den Sondierungsgesprächen zwischen SPD und CDU auf dem Spiel, glaubt Jeremy Cliffe in seinem Blog bei The Economist:
„Sollten die GroKo-Gespräche scheitern, steht Merkel vor der Wahl, eine Minderheitsregierung zu bilden oder Neuwahlen anzuberaumen. ... Gescheiterte Gespräche könnten sogar das Ende von Merkel bedeuten, die eine vierte Amtszeit wohl eher aus Pflichtgefühl gegenüber ihrem Land, denn aus Enthusiasmus anstrebt. Falls der Widerstand der SPD gegenüber einer neuen - Identität und Wählerstimmen kostenden - Runde mit der Kanzlerin das Land zurück an die Urnen bringt, kommt Merkel möglicherweise zu dem Schluss, dass sie ein Hindernis für die hochgeschätzte Stabilität Deutschlands geworden ist und steigt aus.“
So könnte die EU-Reform gelingen
Eine neue GroKo könnte Deutschlands EU-Politik nachhaltig verändern, prophezeit Ilta-Sanomat:
„Die Vorstellungen von Martin Schulz zur EU und zur [Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion] EWU sind noch föderalistischer als die Macrons. ... Selbst wenn man in den Koalitionsverhandlungen die Hälfte von Schulz’ Visionen striche, könnte es ihm gelingen, Deutschland zu einer viel weicheren EU- und EWU-Politik zu führen. … Sollte Deutschland die von Frankreich propagierten Reformen unterstützen, könnten diese überraschend schnell Wirklichkeit werden. Das könnte bedeuten, dass wirtschaftliche Lasten und Risiken stärker auf die Mitgliedsländer verteilt werden. Ob eine größere Gemeinschaftsverantwortung für die Mitgliedsländer ein Vor- oder Nachteil ist, wird sich zeigen. Sicher ist eines: Wenn Deutschland und Frankreich mehr Gemeinschaftsverantwortung wollen, werden sie sie bekommen.“
Europa wartet auf Deutschland
Dass Deutschland noch immer keine neue Regierung hat, ist für das Handelsblatt ein Grund zur Sorge, besonders angesichts der großen Aufgaben der EU in 2018:
„Die Kanzlerin hat bisher nichts Bahnbrechendes zur künftigen EU-Finanzierung zu bieten. Im Februar wird Merkel weiterhin nicht fähig sein mitzureden, weil ihre neue Regierung bis dahin bestimmt noch nicht steht. In der EU geht es im Frühjahr Schlag auf Schlag weiter. Bereits im Juni sollen wichtige Entscheidungen fallen zur Reform der Währungsunion inklusive eines Einstiegs in die EU-Einlagensicherung und zur Modernisierung des europäischen Asylrechts. Wenn der größte Mitgliedstaat jetzt nicht sehr bald eine Regierung bekommt, kann das alles nicht gelingen. Europa wartet auf Deutschland.“
Kaum Gründe gegen die GroKo
Deutsche Medien, die schon vom Ende der Ära Merkel schreiben, haben etwas nicht verstanden, meint der Kurier:
„Die zwei Perioden, in denen Merkel einer [großen Koalition] vorstand, waren geprägt vom guten Überstehen der großen Krise (2005-2009) und vom großen Wirtschaftswunder (2013-2017) - Deutschland steht nach allen Parametern so gut da, wie nie. Trotz der Merkel gerne vorgehaltenen Zaudereien, oder vielleicht gerade wegen ihrer Behutsamkeit. Nur die Flüchtlingskrise dämpfte Merkel das letzte Wahlergebnis. Daher: Außer einem erratischen Parteivorsitzenden bei der SPD und einer Profilierungs-Periode bei der schwächelnden CSU spricht eigentlich nicht viel dagegen, dass Merkel mit einer neuerlichen Großen Koalition Erfolg haben könnte. Von medialen Vorurteilen und Vorverurteilungen einmal abgesehen.“