Emotionen statt News: Facebook ändert Algorithmus
Facebook will den Algorithmus für den Newsfeed der Nutzer ändern. Künftig sollen Beiträge von Personen prioritär angezeigt werden. Posts von Medien, Unternehmen und anderen Institutionen werden in der Hierarchie sinken – es sei denn, sie werden rege kommentiert oder beworben. Wird Facebook damit vertrauenswürdiger?
Wie Crystal Meth für den Stammtisch
Äußerst kritisch sieht Zuckerbergs Pläne die Süddeutsche Zeitung:
„Am besten funktionieren auf den sozialen Netzwerken Empörung, Wut und Angst. Das bringt die Nutzer zum Weiterleiten und Kommentieren. Humor und Begeisterung stehen da weit hintan. Das steckt tief in der DNA des Unternehmens. ... Zuckerbergs Plan, Facebook zu emotionalisieren, wirkt deswegen, als würde er einem aufgebrachten Stammtisch einen Beutel Crystal Meth hinstellen und den Erzürnten viel Vergnügen damit wünschen. Die werden in der Nacht sicher länger bleiben. Allerdings werden sie sich wahrscheinlich auch an die Gurgel gehen. Das geschieht im Internet zwar nur virtuell. Der Effekt auf ganze Gesellschaften ist jedoch durchaus ernst zu nehmen. “
Die Filterbubble wird noch hermetischer
Auch NRC Handelsblad bezweifelt, dass durch den Kurswechsel die Ausbreitung von Falschnachrichten eingedämmt wird:
„Die jetzt gewählte Alternative, ein Begrenzen der Nachrichten, ist ein Eingriff, den viele Menschen in Ländern mit eingeschränkter Pressefreiheit dem Konzern nicht danken werden. Wer dafür bezahlen will, wird immer noch in die Timeline kommen. Für die übrigen wird das größtenteils von der Bereitschaft der Nutzer abhängen, Berichte im Rahmen der 'sinnvollen Interaktion' mit ihren Freunden zu teilen. Dann ist es nicht undenkbar, dass sensationeller Inhalt die größten Chancen hat. Und dass die 'Bubble', in der Nutzer ständig in ihrer Meinung bestätigt werden, nur noch hermetischer wird.“
Weniger Zeitverschwendung
Amid Faljaoui, Chefredakteur des Wochenmagazins Trends-Tendances, leuchtet der Schritt nicht ein:
„Man fragt sich, welche Auswirkung dies auf die Verbreitung von Falschnachrichten haben wird. Denn die Videos und Links, die man mit Verwandten und Freunden teilt, sind doch ganz klar die Hauptursache für die Ausbreitung von unwahren Informationen in sozialen Netzwerken. Eine seltsame Reaktion. Fest steht hingegen, dass die Änderung im Newsfeed die Zeit verringern wird, die die Nutzer auf der Plattform verbringen. Es wird viel zu oft vergessen, dass der Unterschied zwischen Google und Facebook darin besteht, dass Google damit Geld scheffelt, uns bei der Suche im Internet Zeit gewinnen zu lassen, während Facebook daran verdient, dass wir unsere Stunden vor dem Bildschirm vergeuden.“
Medien werden aus ihrer Abhängigkeit befreit
Die schädliche Symbiose zwischen Facebook und den Medien muss endlich ein Ende haben, begrüßt hingegen der Chefkolumnist von Club Z, Ivan Bedrov, die Änderungen:
„In den vergangenen zehn Jahren waren die Medien weltweit von Facebook abhängig. Uns wurde gesagt: Macht attraktive Schlagzeilen um geteilt zu werden - und wir taten es. Veröffentlicht zuerst auf Facebook, damit ihr dort ganz oben angezeigt werdet - und wir taten es. Gebt uns Geld, damit wir euch zu den Lesern bringen - und wir taten es. Entweder man spielte mit oder man war raus aus dem Spiel. Währenddessen haben die Leser verlernt, verantwortungsvoll zu überprüfen, was sie lesen und teilen. … Nun sind wir wieder auf dem richtigen Weg. Wer informiert sein will, muss die Informationen selbst suchen. … An uns Medien liegt es dann, Vertrauen aufzubauen, damit Sie Ihre Nachrichten und Kommentare bei uns lesen.“