Welche Ideen können die EU verändern?
Die zuletzt wieder zugespitzte Diskussion über Migrationspolitik hat erneut die Frage aufgeworfen, ob Europa in der Lage ist, gemeinsam bei wichtigen Zukunftsthemen zu handeln. Diese Frage treibt auch Europaexperten um, die die Debatte in den Medien am Leben halten.
Europa muss sich um die Bürger kümmern
Andrea Mammone, Professor für Europäische Geschichte, beschreibt in La Stampa, wie Europa inmitten von Krisen gerettet werden kann:
„Die fortschrittlich Denkenden sollten eine radikal neue Vision von Europa vorschlagen, die die Chancengleichheit und den Zugang zu Dienstleistungen (Bildung, Gesundheit und dergleichen) gewährleistet und auf einen europäischen Wohlfahrtsstaat drängt. ... Im Gegensatz zu dem von der extremen Rechten vorgeschlagenen Rückschritt in den Nationalstaat, würde dies ein positiveres Bild von der EU vermitteln und der Idee eines neoliberalen, nur wirtschaftlich getriebenen Europas entgegenwirken. ... Eine gesamteuropäische Daseinsvorsorge würde die Verbindung zwischen Institutionen und Bürgern stärken, die nach und nach zerfallen ist. ... Schließlich brauchen wir nicht mehr oder weniger Europa, sondern einfach ein besseres Europa.“
Zusammenschluss einzelner Staaten kann gut sein
Gesamteuropäische Lösungsansätze werden seltener, beobachtet Lidové noviny, findet das aber nicht schlecht:
„Immer häufiger bilden sich innerhalb der Union Staatengruppen mit gemeinsamen Interessen. So melden sich die Südeuropäer, die mehr Geld aus den EU-Töpfen fordern oder Ausnahmen von Kürzungen. Auch die Visegrád-Staaten erregten Aufmerksamkeit mit ihrer Haltung gegen Quoten für Migranten, wobei die Entwicklung ihnen Recht gegeben hat. Für die Anhänger einer engeren Integration, zu denen Macron gehört, ist die Existenz solcher Gruppen keine gute Nachricht. Für die Bürger in der EU, die kritisieren, dass diese zu abgehoben vom Geschehen in den Mitgliedsstaaten sei, muss diese Entwicklung aber nicht schlecht sein.“
Bürger, nehmt Europas Schicksal selbst in die Hand
Eine Wende kann nur von den Bürgern ausgehen, glaubt Jurist Frédéric Mauro. Er schreibt in Le Soir:
„Auf die Staats- und Regierungschefs können wir nicht setzen, denn einer Änderung der Verträge müssten alle 27 zustimmen. Dass die Sterne derart günstig stehen, ist ausgeschlossen. Denn es ist den Staats- und Regierungschefs allen wichtiger, ihre persönliche Entscheidungsmacht zu bewahren, - egal wie klein sie ist - als gemeinschaftlich handlungsfähig zu werden. Weil also keine Hoffnung auf eine Einigung an der Spitze besteht, müssen die Bürger das europäische Projekt selbst in die Hand nehmen. Wollen die Regierenden ihren Völkern nicht voranschreiten, dann müssen sie ihnen eben folgen. Deshalb ist es wichtig, große europäische Parteien zu gründen und den Wählern transnationale Listen anzubieten. Nehmen wir unser Schicksal selbst in die Hand!“
Reformparteien sollten Vorwahlen einführen
Wie Europawahlen attraktiver gemacht werden könnten, beschreibt Fabrice Pothier von der Beratungsgesellschaft Rasmussen Global in Le Monde:
„Macron sollte seine Strategie einer Revolution von unten dadurch erweitern, dass er eine Abstimmung in der Art von Vorwahlen einführt, um die Spitzenkandidaten [seiner Partei] La République en Marche für die europäischen Listen bestimmen zu lassen. Das sollten auch andere Parteien wie die spanische Ciudadanos tun, die sich Macrons geplanter reformorientierter Fraktion anschließen könnten. Solche Vorwahlen könnten den künftigen Fraktionsvorsitzenden im EU-Parlament mehr Legitimität verleihen und die Wählerbasis der Parteien frühzeitig mobilisieren. Eben diese frühe Mobilisierung könnte mit Blick auf die bisher schwache Wahlbeteiligung - 42,6 Prozent bei der letzten Europawahl 2014 - den Unterschied machen.“