Nahm Sarkozy Geld von al-Gaddafi?
Gegen Frankreichs Ex-Präsidenten Sarkozy ist ein Ermittlungsverfahren eröffnet worden. Ihm wird vorgeworfen, zu seiner Zeit als Innenminister mindestens 50 Millionen Euro vom damaligen libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi angenommen und für Wahlkampfzwecke genutzt zu haben. Die Vorwürfe bestehen seit Jahren, scheinen sich nun aber verhärtet zu haben. Selbst, wenn Sarkozy bestechlich war, liegt das eigentliche Problem auf anderer Ebene, urteilen Journalisten.
Sarkozy hat Libyen auf dem Gewissen
Die Justiz mache ihm das Leben zur Hölle, klagt Sarkozy. Die Hölle ist seit 2011 in Libyen und daran ist Sarkozy schuld, entgegnet Avvenire:
„Die Franzosen hatten ein klares Ziel: Gaddafi. Er war die Beute. Und am Ende wurde er vor den Toren von Sirte gefasst und vor Ort getötet - ohne Prozess und ohne Anklage, wie es sich für einen Rechtsstaat geziemt hätte. ... Die 'brillante Militäroperation' von Sarkozy hinterließ ein völlig zerrüttetes und gespaltenes Land. Die Folge war eine humanitäre Katastrophe, vergleichbar nur mit der in Syrien. Zu behaupten, all dies sei nur geschehen, um Gaddafi und die Spuren einer allzu gefährlichen Beziehung zu beseitigen, geht vermutlich zu weit. Doch hat Sarkozy im Alleingang und über die Alliierten hinweg gehandelt. Heute sehen wir die Folgen seines als humanitären Einsatz getarnten Militäreinsatzes. Und die Hauptlast trägt Italien.“
Geldkoffer gehören schon lange zum Geschäft
Korrupte Verhaltensweisen sind offenbar unter den französischen Spitzenpolitikern schon länger üblich gewesen, konstatiert Diário de Notícias:
„Sarkozy soll im Wahlkampf 2007 illegale Spenden angenommen haben. Dankbar war er offensichtlich nicht, denn 2011 half er, den damaligen libyschen Diktator al-Gaddafi, also seinen Wohltäter, zu stürzen. Im gleichen Jahr veröffentlichte Journal du Dimanche ein Interview mit Robert Bourgi, inoffizieller Afrika-Beauftragte der französischen Regierung. ... Bourgi gestand, selbst über Jahre diverse Geldkoffer ins Pariser Rathaus, den Élysée-Palast und das Hôtel Matignon gebracht zu haben. Diese kamen noch nicht von al-Gaddafi, sondern von Herrschern aus Schwarzafrika, und sollen für den damaligen Bürgermeister [und späteren Präsidenten] Chirac und [seine rechte Hand und späteren Premier] Dominique de Villepin bestimmt gewesen sein.“
Noch gilt die Unschuldsvermutung
Die Neue Zürcher Zeitung warnt davor, Sarkozy vorschnell zu beschuldigen:
„Die offiziell seit 2013 laufenden Ermittlungen kamen an Sarkozy bis anhin nicht heran. Dass er nun selber in Polizeigewahrsam genommen wurde, weist darauf hin, dass neue, plausible Verdachtsmomente vorliegen müssen. Möglicherweise kooperieren die libyschen Behörden hinter den Kulissen mit Frankreichs Ermittlern. Vielleicht haben sich die diversen Recherchen der Journalisten auch zu handfesten Beweisen verdichtet. Solange die Hintergründe nicht bekannt sind, muss man jedoch von der Unschuldsvermutung ausgehen. Andere Vorwürfe beispielsweise wegen angeblich illegaler Parteispenden, die Sarkozy - ebenfalls im Schicksalsjahr 2007 - von der damals schon hochbetagten Milliardärin Liliane Bettencourt erhalten haben soll, bestätigten sich nicht.“
War der Diktator ein unbequemer Zeuge?
Ob Sarkozy sogar etwas mit al-Gaddafis Tod zu tun hat, beschäftigt den Frankreich-Korrespondenten Bernardo Valli in La Repubblica:
„Der Bürgerkrieg begann [2011] mit dem Bruch zwischen Sarkozys Frankreich und Gaddafis Libyen. Sarkozy - in einer plötzlichen Anwandlung humanitärer und demokratischer Bedenken - stellte den Rebellen der östlichen Provinz Kyrenaika seine Luftwaffe zur Verfügung. Die Briten sprangen ihm zur Seite. Im Rückblick scheint die Entscheidung des französischen Präsidenten wie ein Versuch, nicht nur die Rebellen im Kampf gegen den Diktator zu unterstützen, sondern ebendiesen Diktator gänzlich zu beseitigen - angesichts seiner peinlichen Rolle als Geldgeber des Präsidenten eines demokratischen Landes wie Frankreich.“
Französische Justiz hat Rückenwind
Den Franzosen dämmert immer mehr, dass auch höchste Würdenträger nicht vor Bestechung gefeit sind, kommentiert Večernji list:
„Nostalgiker erinnern sich noch daran, wie de Gaulle selbst für Briefmarken auf privater Post aufkam oder für Benzin, wenn er den Dienstwagen am Wochenende nutzte. Damit sich die Regierenden im Netz der Justiz verfangen, wenn ihnen das leichte Geld zu Kopf steigt, mussten sich die Zeiten und Köpfe ändern. ... Für Nicolas Sarkozy ist das gesellschaftliche Klima ungünstig, seit Emmanuel Macron die 'Null-Toleranz-Politik' gegenüber der Korruption eingeführt hat. Die französische Justiz fordert schon lange volle Autonomie - nun bekommt sie Rückenwind und die nötigen Trophäen dafür.“
Gute Arbeit von Presse, Polizei und Richtern
Mit einer Mischung aus Abscheu und Erleichterung kommentiert Libération:
„Gewiss, Politik ist ein Kampfsport. Warum aber sollte man sich daran gewöhnen, dass sie in den Ring der Geschäftswelt verlegt wird? Derweil ist es grässlich, zu sehen, wie der Chor der Rechten die Verbissenheit der Justiz und auch der Presse anprangert, die in seinen Augen als bewaffneter Arm der Justiz fungiert. Das Gegenteil der Fall. Und das jüngste Beispiel des 2013 eröffneten Ermittlungsverfahrens ist beruhigend, ja sogar erfreulich. Nicht, weil man einen früheren Staatspräsidenten in Gewahrsam sieht - das ist ein trauriger Anblick. Sondern, weil wir feststellen, dass die Polizei und Richter in ihrem Tempo und vollkommen unabhängig weitergearbeitet haben im Bemühen darum, Recht zu sprechen.“