Startschuss für die EU-Haushaltsverhandlungen
Die EU-Kommission hat am Mittwoch den ersten Entwurf des Unionshaushalts für 2021 bis 2027 vorgestellt. Höheren Investitionen in den Bereichen Migration, Grenzkontrolle und Verteidigung stehen Einsparungen in der Agrarpolitik gegenüber. Zahlungen an Mitglieder sollen an rechtsstaatliche Prinzipien geknüpft werden. Die Haushaltsdebatte ist eröffnet.
Für Brüssel steht viel auf dem Spiel
Angesichts der Umverteilung von Geldern aus Agrarhaushalt und Strukturfonds hin zum Verteidigungsbudget muss die EU-Kommission gute Überzeugungsarbeit leisten, unterstreicht Le Quotidien:
„Man kann diesen Budgetentwurf sicher nicht allein auf diese beiden Posten reduzieren. Es wird jedoch sehr schwierig, den Bürgern zu erklären, warum der Kauf neuer Waffen mehr Gewicht erhalten soll als die Unterstützung, die man Landwirten und den Ärmsten in der Union zugesteht. Der Basar ist eröffnet: Einige Länder haben schon angekündigt, dass sie nicht noch tiefer in die Tasche greifen wollen. Die 27 Mitgliedsstaaten müssen sich nun freilich so schnell wie möglich auf eine gerechte Aufteilung einigen, sonst büßt die EU ihre Glaubwürdigkeit ein und verliert noch mehr an Zustimmung.“
Polen wird vor die Wahl gestellt
Die Ankündigung der EU-Kommission, EU-Gelder an die Einhaltung von rechtsstaatlichen Prinzipien zu knüpfen, zwingt die rechtskonservative Regierung in Warschau zu einer Entscheidung, analysiert Gazeta Wyborcza:
„Einerseits werden einige Politiker - vielleicht auch der Premier - ihre Kompromissbereitschaft betonen. ... Anderseits können die Falken der PiS der Meinung sein, dass Brüssel ihnen damit eine Gelegenheit für den Austritt aus der EU bietet. Sie werden in den Wahlkampf ziehen unter dem Motto, die Unabhängigkeit gegenüber dem Diktat der EU zu verteidigen. Sie werden die nationalistische Hysterie befeuern und über das katholische Polen als Festung sprechen, die vor dem nihilistischen Westen schützt. Die Entscheidung der EU-Kommission kann uns also dazu zwingen, uns eindeutig dazu zu äußern, ob wir uns in unserer Festung verbarrikadieren oder ob wir wieder dem europäischen Kurs folgen.“
EU-Gelder intelligent nutzen
Die bulgarische Regierung muss ihre Einstellung gegenüber den EU-Geldern ändern, wenn sie bei den Verhandlungen über den neuen EU-Haushalt ernst genommen werden will, meint Dnevnik:
„Zuerst müssen wir aufhören, vom 'Abrufen' von EU-Fonds zu sprechen. Dieser Begriff ist schädlich und verleitet zu Korruption. EU-Gelder müssen als Investitionen angesehen werden. Das ist eine der Schlüsselideen des neuen EU-Haushalts. Sie sollen dazu dienen, weitere Investitionen anzuziehen und nicht nur ein Mittel zum Stopfen von Finanzlöchern sein. Der vorgeschlagene EU-Haushalt ist lange nicht perfekt, doch er eröffnet riesige Möglichkeiten für Bulgarien. Ob wir sie zu nutzen wissen, hängt von uns selbst ab. Es hängt von uns selbst ab, ob er uns aus der Lethargie heraus- oder noch tiefer in die Korruption hineinziehen wird. Jetzt kommt es darauf an, schnell und engagiert in die Verhandlungen einzusteigen.“
An Umverteilung führt kein Weg vorbei
Dass der Haushaltsposten Migration bei der EU künftig umfangreicher wird, lobt Die Presse:
„Die Rahmenbedingungen in und rund um Europa haben sich derart verändert, dass eine Nachjustierung bei den Schwerpunkten der Ausgaben erstens angebracht und zweitens wünschenswert ist. Die größte Gefahr für den Zusammenhalt zwischen den Unionsmitgliedern ist mittlerweile nicht mehr das absolute Wohlstandsgefälle oder ein etwaiger Qualitätsunterschied bei der Verkehrsinfrastruktur, sondern der Druck auf die (südlichen) Außengrenzen der EU. Grenzstaaten wie Griechenland oder Italien zu unterstützen ist das Gebot der kommenden Jahre. Die Umschichtung im EU-Budget wird wohl auch auf Kosten der Osteuropäer gehen müssen.“
Reine Geldscheffelei
Die Zahlung von EU-Geldern an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen, verhehlt nur mangelhaft die eigentlichen Beweggründe der EU, meint wPolityce.pl:
„Ist es möglich, dass dieser Mechanismus EU-Recht wird? Mit Sicherheit wollen viele Staaten das nicht. Aber genauso viele nutzen die 'Rechtsstaatlichkeit', um für sich selbst am meisten aus dem EU-Budget rauszuholen. ... Es geht um wirklich viel Geld. Ja, man wird mit Sicherheit bittere Zugeständnisse machen müssen. Aber solange diese die grundlegende Richtung der Reformen [der polnischen Regierung] nicht ändern, gibt es keinen Grund, unzufrieden zu sein. Dank der Tatsache, dass die Regierung bisher nicht eingelenkt hat, kann sie heute in einigen Fragen nachgeben, ohne dass der Sinn ihrer Reformen entstellt wird.“
Brüssel diktiert die Bedingungen
Mit der Koppelung der EU-Gelder an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien etabliert die Kommission die Willkürherrschaft, schimpft auch PestiSrácok:
„Es reicht, dass wir nach Meinung der Kommission die 'rechtsstaatlichen Kriterien verletzen'. Das ist so, wie wenn die Gurke nach geometrischen Kriterien kontrolliert wird - es ist keine exakte Kategorie. Wenn Brüssel behauptet, jemand verletzt das Recht, dann ist das so und fertig. Ja, man kann Einspruch erheben. Wenn die qualifizierte Mehrheit der Regierungschefs im Europäischen Rat dagegen ist, zieht die Kommission den Vorwurf zurück. Verstehen Sie, wie absurd das ist? Bisher brauchte es das für eine Entscheidung, jetzt um eine Entscheidung zu blockieren. Das ist, als würde in einem Unternehmen nicht der Geschäftsführer oder der Besitzer die Geschäftspolitik machen, sondern der Buchhalter.“
Strafe muss sein
Der Entzug finanzieller Mittel ist der richtige Weg, um Mitgliedsländer zu disziplinieren, findet hingegen die Süddeutsche Zeitung:
„[Die] Grenzen müssen dort gezogen werden, wo die Grundlagen des Zusammenlebens in der EU in Gefahr geraten. Das ist dann der Fall, wenn die Rechtsstaatlichkeit nicht mehr gewährleistet ist. ... Es stimmt, dass die Kürzung von Mitteln auch jene treffen wird, die für die Verfehlungen der Regierenden nicht unmittelbar verantwortlich sind, also die Bürger. In einer Gemeinschaft von Demokratien wie der EU tragen die Bürger mit ihrer Wahlentscheidung aber eben nicht nur Verantwortung für ihr eigenes Land, sondern auch für die Union. Werden sie dieser Verantwortung nicht gerecht, hat das Folgen. Auch finanzielle.“
Die EU hat immer Schuld
Kaum hatte EU-Kommissar Oettinger die Haushaltspräsentation beendet, brach ein Sturm der Kritik aus, klagt De Standaard:
„Die Kakophonie zeigt, wo Europas Problem liegt: Die Union hat immer schuld. Wenn sie zu wenig tut und wenn sie sich zu sehr einmischt. ... Wenn sie den Mitgliedsstaaten finanziell zu wenig hilft, und wenn sie zu viel kostet. ... Nun mahlen die rhetorischen Mühlen wieder auf Hochtouren. Die englischen Boulevardmedien machen auf dem Festland Schule. Obwohl der ganze europäische Haushalt kaum mehr als ein Prozent des Gesamteinkommens der Mitgliedsstaaten ausmacht. Bei aller Kritik, die man gegen Europa vorbringen kann, ist hier doch Mäßigung angebracht. Wenn der Haushalt 2021 gültig wird, werden wir bereits sehen können, wie es den Briten außerhalb der Union ergeht.“