Deutsche Ökonomen warnen vor Euro-Haftungsunion
154 Ökonomen warnen vor einer weiteren Vertiefung der Eurozone, wie sie von Macron, Juncker und im Berliner Koalitionsvertrag vorgeschlagen wird. Unter anderem kritisieren sie die anvisierte Einführung eines Europäischen Währungs- und Investitionsfonds und fürchten, dass Geld an Länder gezahlt wird, die Reformen versäumt haben. Stellen sie sich zu Recht gegen die Reformvorschläge?
Gefahr für Wohlstand und Wachstum
"Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen" - dieser Grundsatz des Haftungsprinzips würde bei einem Umbau der Währungs- und Bankenunion zu einer Haftungsunion nach Ansicht der Ökonomen außer Kraft gesetzt. Vor den Folgen warnen sie in ihrem Aufruf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:
„Das Haftungsprinzip ist ein Grundpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft. Die Haftungsunion unterminiert das Wachstum und gefährdet den Wohlstand in ganz Europa. Dies zeigt sich bereits jetzt in einem sinkenden Lohnniveau für immer mehr, meist junge Menschen. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, sich auf die Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft zurückzubesinnen. Es gilt, Strukturreformen voranzubringen, statt neue Kreditlinien und Anreize für wirtschaftliches Fehlverhalten zu schaffen.“
Euroskeptizismus aus Deutschland
Der Aufruf der Ökonomen läuft dem europäischen Einigungsprozess zuwider, kritisiert Naftemporiki:
„Der Euroskeptizismus hat viele Formen: Die populistische Form des Movimento Cinque Stelle, die den Euro für alles Schlechte verantwortlich macht, aber keine Alternative hat. Die Lega Nord und die rechtsextremen Parteien. ... Und die elitären deutschen Ökonomen, die die Währungsunion nicht als ein wichtiges Werkzeug der wirtschaftlichen und politischen Integration ansehen, sondern als Club der Ausgewählten. Am meisten bereitet jedoch Sorge, dass die Einigung Europas, die im Laufe der Jahre von oben nach unten durchgeführt wurde, in der Öffentlichkeit der meisten Mitgliedstaaten skeptisch, wenn nicht gar mit Angst beobachtet wird. Denn bis heute hat keine Regierung die Vorteile der Einigung ausreichend erklärt.“
Solidarität versus Solidität
Auch wenn sich die Ökonomen gegen eine weitere Vertiefung der Eurozone aussprechen, darf ihr Einwurf nicht als antieuropäisch abgetan werden, verteidigt die Neue Zürcher Zeitung die Erklärung:
„Im Diskurs über die Zukunft der Währungsunion dürfe man nicht die einen als 'gute Europäer' loben, kritische Stimmen dagegen als 'schlechte Europäer' abtun, mahnte kürzlich der Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann. Die einen legten mehr Wert auf Solidarität, die anderen stellten die Solidität heraus, sagte er. Paris und Brüssel betonten jüngst indes einseitig die Solidarität. Zudem stärken der EU-Austritt Grossbritanniens und das Wahlergebnis in Italien gewiss nicht die Befürworter von Solidität. Wer als Ökonom in dieser Gemengelage auf die Einheit von Handeln und Haftung pocht, muss sich nicht verstecken und hat weder Diskreditierung noch schräge Blicke von seinen Kollegen verdient.“