Kann Sánchez Spanien erneuern?
In Spanien ist Sozialistenchef Pedro Sánchez zum neuen Premier gewählt worden. Sein Vorgänger Rajoy war zuvor vom Parlament per Misstrauensvotum gestürzt worden. Hintergrund ist ein Korruptionsskandal, in den Rajoys konservative Partei PP tief verstrickt ist. Kommentatoren fragen sich, ob mit Sánchez ein Neustart für Spanien wirklich gelingen kann.
Auch Sánchez stammt aus der alten Garde
Dass die Spanier mit Sánchez noch keinen echten Neustart vor sich haben, betont NRC Handelsblad:
„Sánchez stellt sich gerne dar als moderner Sozialist, aber er ist kein Erneuer. Für eine neue Generation von Spaniern sind die PP von Rajoy und die PSOE [von Sánchez] zu starke Symbole für die alte Politik. ... Dass Mitglieder beider Parteien in eine Korruptionsaffäre nach der anderen verwickelt waren, unterstreicht das Bild noch. Jüngere geben ihre Stimme immer häufiger neuen Parteien wie der liberalen Ciudadanos und der linksradikalen Podemos. Auf diese Weise wird Spanien nicht länger nur in rechts und links geteilt, sondern auch in jung und alt.“
Iberische Halbinsel kann es Europa zeigen
Nach Portugal wird nun auch Spanien beweisen, dass linke Politik nicht zum Scheitern verurteilt ist, jubelt Duma:
„Sánchez hat die Chance, den politischen Kurs Spaniens grundlegend umzuwälzen. Die Katalonien-Krise wird er wahrscheinlich nicht so leicht in den Griff kriegen. Dafür dürfte die Wirtschaft - das andere große Problem Spaniens - nach der konservativen Sparpolitik Rajoys unter Sánchez aufblühen. Portugal hat es bereits vorgemacht und bewiesen, dass das Mantra von den bösen Sozialisten, die immer alles kaputt machen, und den guten Konservativen, die es wieder in Ordnung bringen, nicht stimmt. Die iberische Halbinsel kann endlich ein Zeichen setzen und dem Rest Europas zeigen, dass linke Politik die richtige Politik ist. Die Zeit dafür ist reif und wir können Pedro Sánchez nur viel Erfolg wünschen!“
Neuer Premier muss zunächst Brüssel beruhigen
Sánchez darf keine Bedrohung für Europa sein, mahnt El Mundo:
„Man muss anerkennen, dass Sánchez stets sein europäisches Profil unterstrichen hat. Und in der Debatte vor dem Misstrauensvotum konnte er zwar, um nicht die Separatisten zu verschrecken, nur wenig zu seinem Regierungsprogramm sagen. Dabei machte er aber dennoch klar, dass er die Zusagen des Landes gegenüber Brüssel einhalten werde, einschließlich der Vereinbarungen zum Defizit. Jetzt muss er es beweisen. Eine der großen Anstrengungen der ersten Legislatur unter Rajoy bestand darin, mitten in der Wirtschaftskrise dafür zu sorgen, dass Spanien nicht mehr als der kranke Mann Europas angesehen wird. Und die Sozialisten haben nun die unbedingte Pflicht, die Stabilität zu erhalten.“
Jetzt den Neubeginn wagen
Rajoys Abwahl ist eine große Chance für Spanien, glaubt Dagens Nyheter:
„Paradoxerweise bewegt sich Spaniens Wirtschaft voran. Das Wachstum ist gut, die Arbeitslosigkeit sinkt. Zum Teil, weil Rajoys Gesetze tatsächlich viel erreicht haben. Aber das politische Durcheinander im Schatten Italiens erschüttert jetzt die Märkte. Eine Neuwahl wäre logisch. Alles - von der Korruption bis zur Wirtschaft und dem katalonischen Abspaltungsversuch - muss auf den Prüfstand. Die Wähler haben das alte System bereits abgeschafft. Es ist Zeit, ein neues zu bauen.“
Rajoys Abgang wird Vertrauen wieder herstellen
Das Ende dieser Regierung ist bitter nötig, urteilt Kettős Mérce:
„Das sofortige Aus für die konservative Regierung - und das ist wohl die wichtigste Folge - wird die spanischen Bürger darin bestärken, dass die Demokratie und das repräsentative System, in das sie in den vergangenen Jahrzehnten das Vertrauen verloren haben, doch noch etwas wert sind. Zumindest so viel, dass eine Partei, die wie die Justiz festgestellt hat, mehrfach korrupt war und gelogen hat - was auch durch öffentlich zugängliche Beweise belegt ist - nicht einen Tag weiter an der Regierung bleiben kann.“
Sánchez' Unterstützer wollen Spanien zerreißen
Die Korruption der PP ist im Vergleich zur nun bevorstehenden Zerreißprobe des Landes das geringere Problem, glaubt ABC:
„Das Misstrauensvotum der Sozialisten wurde von schweren Fehlern der Regierung und der PP beflügelt. ... Aber [der Sozialistenchef und mögliche neuer Premier] Sánchez wird beim Einzug in den Regierungungspalast Moncloa auch von der [baskischen] Pro-Eta-Partei Bildu unterstützt. ... Die wirtschaftliche Korruption wiegt schwer, aber noch schwerer wiegt die moralische Korruption, mit der sich die Sozialisten nun über jegliche Skrupel hinwegsetzen und sich von Terror-Befürwortern stützen lassen. Beim Einzug in die Moncloa wird Sánchez auch von den [katalanischen] Parteien ERC und PdeCat getragen. Parteien, die Spanien zerreißen und die Verfassung aufheben wollen und die einen Vertreter des fremdenfeindlichen Neofaschismus zum katalanischen Ministerpräsidenten wählten.“
Vorsicht vor einer "Frankenstein-Regierung"
Auch Diário de Notícias ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass PSOE-Chef Sánchez mit der Unterstützung separatistischer Parteien Regierungschef werden könnte:
„PSOE-Chef Pedro Sánchez will Rajoy nicht nur stürzen, sondern auch um jeden Preis Premierminister werden. Und genau in diesem 'koste was es wolle' liegt derzeit Spaniens Problem. ... Sollte der Misstrauensantrag durchkommen, spricht man bereits von einer [unnatürlichen und zusammengeflickten] 'Frankenstein-Regierung', denn die neue Mehrheit im Parlament würde aus einem 'Gemisch' aus der Protest-Partei Podemos und katalanischen sowie baskischen nationalistischen Parteien bestehen. ... Sollten sich die Sozialisten bei diesem Votum tatsächlich den baskischen und vor allem den katalanischen Unabhängigkeitsparteien anschließen, bedeutet dies ein enormes Risiko für Spanien.“