Polizeigewalt bei Massenprotesten in Rumänien
In Rumänien hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen eingeleitet, nachdem bei einer Großkundgebung am Freitag mehr als 400 Menschen verletzt wurden. Zehntausende hatten gegen Korruption und für den Rücktritt der sozialliberalen Regierung demonstriert, darunter viele Auslands-Rumänen. Für Journalisten wirft der Polizeieinsatz viele Fragen auf.
Dilettantische Polizei setzt Chemiewaffe ein
Der Tränengaseinsatz der Polizei war illegal, stellt Radio Europa Liberă fest:
„Raul Pătrașcu von der Medizinischen Universität in Timișoara erklärte, dass die eingesetzte Art des Tränengases als chemische Waffe katalogisiert ist und laut Chemiewaffenkonvention von 1993 in Kriegen verboten ist. Er erklärte zudem, dass der Einsatz dieses Tränengases im Minutentakt langanhaltende Folgen haben kann, von Lungenkomplikationen bis hin zu Leber- und Herzerkrankungen. Die sprachlichen Verrenkungen der Polizisten in ihren öffentlichen Rechtfertigungen deuten darauf hin, dass sie am Rande der Legalität gehandelt oder gar einen Gesetzesbruch begangen haben. Dass sie tagelang der Militärstaatsanwaltschaft vorenthielten, wie sich das exzessiv eingesetzte Gas zusammensetzt, beweist nicht nur ihre Unprofessionalität, sondern auch, dass sie offenbar absichtlich handelten.“
Umfassende Aufklärung nötig
Die Regierung sollte dringend alle nötigen Untersuchungen einleiten, fordert die Tageszeitung der ungarischen Minderheit in Rumänien Krónika:
„Am wichtigsten ist es nun herauszufinden, wie sich die Provokateure unter die Demonstranten gemischt haben und wer hinter ihnen steht. Außerdem muss festgestellt werden, warum die Polizisten allen Demonstranten gegenüber so brutal aufgetreten sind - auch gegenüber denen, die nicht gewalttätig waren. Es ist unbedingt notwendig, die politisch Verantwortlichen zu benennen und zur Rechenschaft zu ziehen, damit die Situation, die momentan einem Pulverfass gleicht, nicht weiter eskaliert. Wenn die Regierung allerdings versucht, die Untersuchungen im Sande verlaufen zu lassen, nährt sie damit nur den Verdacht, dass sie irgendetwas mit den Gewalttaten zu tun hat.“
Rumänen fortschrittlicher als Bulgaren
Die Proteste in Bukarest zeigen, dass die rumänische Gesellschaft der bulgarischen um Jahre voraus ist, kommentiert Sega:
„Wenn wir beobachten, wie Rumänen aus der ganzen Welt in Bukarest zusammenkommen, um gegen die Korruption in ihrem Land zu protestieren, können wir uns nur schämen. Angeblich leiden wir doch am selben chronischen Leiden, das wir Korruption nennen, doch die Heilung der Rumänen scheint schneller zu erfolgen als die der Bulgaren. ... Die Rumänen haben es in den Jahren seit dem EU-Beitritt geschafft, sich in zwei gesellschaftliche Gruppen zu teilen: die Diebe und die Beklauten. ... Während in Rumänien Politiker aller Couleur hinter Gitter sitzen, macht es die bulgarische Gesellschaft durch ihren Gleichmut der kriminellen politischen Elite leicht, auf dem Volk herumzutrampeln.“
Rumänischer Staat ist seit Langem gewalttätig
Rumänien hat sich mit dem Geschehen endgültig diskreditiert, findet Ion M. Ionita auf seinem Blog bei Adevărul:
„Seit 1989 gab es ungerechtfertigte Gewaltakte bei riesigen Protesten. Die Strategie war immer dieselbe: Die Gewalt wird in der Machtzentrale entschieden und im Anschluss macht man die Demonstranten dafür verantwortlich. Die Ultras [Gruppe fanatischer Fußballanhänger] hatten auf Facebook angekündigt, sie kämen zum Demonstrationsplatz, um sich zu prügeln! Wie einfach wäre es gewesen, ihnen entgegenzutreten und sie rechtzeitig zu isolieren! ... Während im Inland die Regierungspropaganda wieder einmal versucht, die Realität mit bizarren Verschwörungstheorien zu vertuschen, hat sich die PSD-Regierung im Ausland nun endgültig diskreditiert.“
Was wird aus dem Vorbild der Ukraine?
Ukrajinska Prawda glaubt, dass ein Rückschlag für den Antikorruptionskampf in Rumänien zu einem schlechten Omen für die Ukraine werden könnte:
„Rumänien gilt für die Ukraine als Vorbild in Sachen Korruptionsbekämpfung. Die Nationale Antikorruptionsbehörde begann unter der Leitung von Laura Kövesi in den höchsten Machtebenen zu ermitteln, es gab Strafverfahren gegen den ehemaligen Regierungschef, Verwandte des Ex-Präsidenten und amtierende Regierungsmitglieder. Und wenn in Rumänien mit dem Rücktritt der legendären Antikorruptionskämpferin der Kampf gegen die Korruption zurückgefahren wird, dann wird das ein Signal für diejenigen, die an die siegreiche Kraft der Korruption in den Ländern Osteuropas glauben - auch in der Ukraine.“
Regierungspartei ist am Ende
Die Regierung von Premierministerin Viorica Dăncilă hat die politische Krise zu verantworten und muss die Konsequenzen ziehen, fordert Ziare:
„Die Rumänen, die im Ausland arbeiten, sind nach Hause gekommen und wurden mit Tränengas und Wasserwerfern empfangen. Die durch das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte provozierte Krise in Rumänien kann nur durch den raschen Rücktritt der Regierung von Premierministerin Dăncilă aufgefangen werden. Wenn das nicht geschieht, wird diese politische Krise das aktuelle Regime zerfressen bis das System spätestens zu den EU-Wahlen 2019 zusammenbrechen wird - vielleicht auch schon früher. Die [sozialdemokratische Regierungspartei] PSD ist ein politischer Kadaver, eine Partei mit mafiaähnlichen Strukturen, die keinerlei Beziehung zum Bürger hat.“
Korrupter Staat übernimmt bald EU-Ratsvorsitz
Die EU sollte sehr genau nach Bukarest blicken, fordert Der Standard:
„Was es dort unter anderem zu entdecken gibt: einen Regierungsberater im Rang eines Staatssekretärs, der auf Facebook schrieb, die Teilnehmer an den jüngsten Protesten 'hätten niedergeschossen, nicht (mit Wasserwerfern) durchnässt' werden müssen; einen Regierungsabgeordneten, der erklärte, die Demonstranten seien gut beraten, 'nicht länger zu provozieren, sonst kommen wir mit einer Million Anhängern und zertreten euch'; den Chef einer Regierungspartei, der wegen Wahlbetrugs vorbestraft ist; einen Staatspräsidenten, der vom Generalstaatsanwalt die Untersuchung der Polizeigewalt gegen die Proteste fordert und von diesem Parteichef als 'Sponsor extremistischer Ausschreitungen' beschimpft wird; und ein Land, das im Jänner von Österreich die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt.“
Auch Bulgariens Diaspora hat die Schnauze voll
Dass so viele im Ausland lebende Rumänen gegen die Regierung in Bukarest protestieren, ist ein neues Phänomen, das durchaus auch in Bulgarien Schule machen könnte, meint Club Z:
„Die im Ausland lebenden Rumänen schicken jedes Jahr über drei Milliarden Euro an ihre Verwandten nach Hause. Kommt Ihnen das bekannt vor? Sie protestieren gegen die Anfeindungen, denen sie seitens der regierenden Politiker in ihrer Heimat ausgesetzt sind. Kommt Ihnen das bekannt vor? Die Auslandsrumänen, die im Moment protestieren, werden als 'Lumpendiaspora' beschimpft, die von Soros bezahlt werde, um das Land zu destabilisieren. Kommt Ihnen das bekannt vor? ... Unsere Machthaber sollten froh sein, dass die Protestwelle noch nicht über die Donau herübergeschwappt ist.“