Kavanaugh-Ermittlungen: Erfolg der MeToo-Bewegung?
Im Streit über den Supreme-Court-Kandidaten Brett Kavanaugh hat US-Präsident Trump das FBI angewiesen, Ermittlungen aufzunehmen. Die Bundespolizei soll die Vorwürfe gegen den Juristen wegen sexueller Belästigung weiter untersuchen, bevor der US-Senat final über ihn abstimmt. Kommentatoren diskutieren den Einfluss der MeToo-Bewegung im Fall Kavanaugh.
Das Ende des Schweigens
Indem Christine Blasey Ford dem Kandidaten für den Obersten US-Gerichtshof öffentlich versuchte Vergewaltigung vorwirft, wurde das millionenfache Schweigen hoffentlich ein für alle Mal gebrochen, kommentiert El País:
„Die MeToo-Bewegung offenbart, dass Millionen Frauen Misshandlung und Belästigung erlitten haben, ohne dass sie sich getraut hätten, dies anzuzeigen. Auch Blasey war verängstigt und musste mit dieser Angst ihr ganzes Leben als Erwachsene auskommen. Nun hat sie einen Schritt nach vorne gemacht. Millionen von Menschen haben ihre stockende Stimme gehört. Was auch immer jetzt passiert, diese Stimme kann nicht mehr zum Schweigen gebracht werden.“
Inquisition in Washington
Die Vorwürfe gegen Kavanaugh erinnern Julia Latynina von der Nowaja Gazeta eher an spätmittelalterliche Inquisitionsverfahren:
„Ein modernes zivilisiertes Gericht geht von der Unschuldsvermutung aus. Es erwartet, dass es Beweise gibt. Und Beweise, die auf unzulässige Weise erlangt wurden, dürfen nicht vorgelegt werden. Das sind die Regeln, die eine Verurteilung Unschuldiger verhindern sollen. Darin unterscheidet sich ein modernes Gericht von der Inquisition, bei der jeder Beschuldigte schon automatisch schuldig war. Was mit Brett Kavanaugh geschah, ist Inquisition in Reinform. Seine Anklägerin kann keinerlei Beweise vorlegen, dass sie die Wahrheit spricht. Und die Anschuldigungen wären von Christine Blasey Ford wohl nicht vorgebracht worden, wenn Kavanaugh ein Demokrat wäre.“
Gefährliche Machtkultur an Eliteschulen
Die Untersuchungen im Fall Kavanaugh offenbaren, warum sexuelle Belästigung von Frauen an US-Elite-Schulen zum Alltag gehört, erklärt der US-Professor für Islamisches Recht Hatem Bazian in Daily Sabah:
„Die überwiegende Mehrheit der Schüler in diesen Schulen sind Söhne und Töchter der reichen und mächtigen Elite Amerikas. Die dortigen Lektionen über Privilegien und Ansprüche entstehen nicht aus einem Vakuum heraus, sondern sie repräsentieren die erwartete Norm in Elitekreisen. Es geht nämlich darum, wie man am besten die nächsten vollkommen unverschämten und dreisten Firmen-, Regierungs- und Religionsführer ausbildet, die mit ihrer darwinistischen Denkweise über Leichen gehen. ... Wenn das Überleben der Stärksten das gängige Motto dieser Psychopathen in allen gesellschaftlichen Bereichen ist, dann ist das Erobern von Frauen mit Hilfe sexueller Gewalt die natürliche Ordnung der Dinge.“
Langsam verändert sich etwas
Die Republikaner im Senat haben es nicht gewagt, die Kandidatur von Brett Kavanaugh zu empfehlen, ohne vorher Christine Blasey Ford anzuhören, glaubt Dagens Nyheter. Die Zeitung schreibt dies der MeToo-Bewegung zu:
„Nach Ansicht der Republikaner ist es wichtiger, Kavanaugh ins höchste Richteramt zu bekommen, als die Macht über den Kongress zu behalten. Die Richter werden auf Lebenszeit berufen und haben einen starken Einfluss auf die amerikanische Politik. Die Macht der MeToo-Bewegung darf aber nicht unterschätzt werden. Die Senatoren hörten Blasey Fords Geschichte nur an, weil es eine Veränderung in der Gesellschaft gibt. ... Viele weibliche Wähler haben den Republikanern wegen Donald Trumps Sexismus und vulgärem Stil bereits den Rücken gekehrt. Viel mehr Frauen als zuvor kandidieren.“
Glotzen und Grapschen noch immer Kleinigkeiten
Dass der Fall Kavanaugh ein Erfolg für die MeToo-Bewegung darstellt, bestreitet hingegen die Kolumnistin Rosanne Hertzberger in NRC Handelsblad:
„Wenn sich seine Schuld herausstellt, dann hat er nicht viel zu befürchten. Im vergangenen Jahr wurde in Washington deutlich, dass Glotzen und Grapschen überhaupt kein Problem sein muss. Man kann sogar damit prahlen, dass man Frauen ungefragt zwischen die Beine gefasst hat und wird dennoch Präsident von Amerika. MeToo geht überhaupt nicht weit. MeToo geht noch nicht weit genug.“
Urteile ohne Richter und Geschworene
Die MeToo-Bewegung hat das Ansehen und die Karriere Dutzender prominenter Männer zerstört, ohne faire Untersuchungen, empört sich The Sunday Times:
„Die MeToo-Bewegung ist revolutionärer Feminismus. Wie alle revolutionären Bewegungen befürwortet auch diese Schnellverfahren. Seit April 2017 ist mehr als 200 prominenten Männern öffentlich sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen worden. Die Anschuldigungen reichten von Vergewaltigung bis zu unangemessener Wortwahl. ... MeToo scheint Vergewaltigung, Körperverletzung, plumpe Anspielungen und Scherze zu ein und demselben Tatbestand verschmolzen zu haben. Das Ansehen vieler wurde zerstört, Karrieren wurden abrupt beendet. 'Ich glaube ihr' sind die verhängnisvollen Worte, die - wenn sie von genügend Menschen ausgesprochen werden - die Rolle von Richter und Geschworenen übernehmen.“