Bayernwahl erschüttert deutsche Politik
CSU und SPD haben bei der Landtagswahl in Bayern herbe Verluste erlitten. Die CSU kommt nur noch auf 37,2 Prozent der Stimmen - ein Minus von über zehn Prozentpunkten. Ähnlich stark verlor die SPD, die nur noch fünftstärkste Partei im Freistaat ist. Welche Lehren müssen Konservative und Sozialdemokraten aus der Wahl ziehen?
Alle sind an Merkel gebunden
Die Koalition wird ohne Kanzlerin Merkel nicht halten, glaubt die Neue Zürcher Zeitung:
„CDU- und CSU-Politiker, die mit dem Gedanken spielen, Merkel zu entmachten, müssen bedenken, dass die Sozialdemokraten eine Auswechslung der Bundeskanzlerin ... nicht akzeptieren würden. Merkel als Regierungschefin ist überhaupt die Bedingung, dass sich die SPD an der Koalition beteiligt. Würde sie unter Druck frühzeitig demissionieren, böte dies den Sozialdemokraten die Möglichkeit, diese ungeliebte Koalition zu verlassen und sich in der Opposition zu regenerieren, wie es gerne heisst. ... Die Unionsparteien würden von einem solchen dreisten Vorgehen gegen die Kanzlerin aber sicher nicht profitieren. Im Gegenteil dürften die Anti-Merkel-Strategen bei einer Neuwahl für ihr unorthodoxes Verhalten von den Bürgern bestraft werden.“
Die Kanzlerin hat gut lachen
Merkel ist alles andere als geschwächt durch das Ergebnis der bayerischen Landtagswahl, findet Contrepoints:
„Die Ergebnisse verdeutlichen insbesondere das Scheitern der Strategie eines Teils der Rechten, die darin besteht, die angeblich populistisch-orientierte Wählerschaft zu umgarnen. Diese Strategie wurde jedoch von den Wählern, die dieser politischen Spielchen überdrüssig sind, abgestraft und durch das gute Abschneiden der Freien Wähler widerlegt. Ihnen ist es gelungen, ein Programm und einen Diskurs mit konstruktiven Zügen zu entwickeln, anstatt nur auf Austausch von Köpfen und Demagogie zu setzen. Dieses Fazit stärkt vor allem Angela Merkels Position, denn sie kann ihren lästigen Innenminister Horst Seehofer für das Debakel verantwortlich machen.“
SPD im freien Fall
Für die Sozialdemokraten steht mehr auf dem Spiel als für die Unionsparteien, erklärt die Wiener Zeitung:
„Es ist eine tragikomische Volte der bayrischen Landtagswahl, dass ihr Ergebnis die CSU mit einer brechenden Niederlage davonkommen ließ, weil sie der machtgewohnten Münchner Staatspartei weiter alle Optionen offenhält. Aber dafür die SPD mit der Frage ihrer schieren Existenz konfrontierte. Und zwar quer durch die Republik, und ganz besonders in Berlin. ... Mit ruhiger Hand regieren, das werden Union und SPD nicht mehr schaffen. Zu groß ist die Verunsicherung in sämtlichen Parteien, zu groß die Lust der Wähler, Neues auszuprobieren. Doch während die Union noch Reserven hat, geht es für die SPD längst um alles. Deutschland braucht eine politische Option jenseits der großen Koalition dringender denn je. Für die SPD ist das eine Überlebensfrage.“
Im Land wird es ungemütlich
Die Tageszeitung Die Welt sieht im Wahlergebnis ein Votum gegen die große Koalition in Berlin:
„Es wird so nicht weitergehen. Wahrscheinlich braucht der Kanzlerinnenwahlverein der Union auch noch ein Debakel in Hessen, um sich ernsthaft die Frage zu stellen, ob auch die Union den deprimierenden Weg der SPD gehen will. … Die CSU war auf eine eigenwillige, oft charmante, fast immer erfolgreiche Art ein Stabilitätsanker der Bundesrepublik. Damit ist jetzt erst mal Schluss. Deutschland wird noch unruhiger. Das verheißt auch für Europa nichts Gutes. ... Ereilt uns jetzt auch noch eine konjunkturelle Abkühlung, könnte es richtig unangenehm werden.“
Nächste Wahl könnte Merkels Schicksal besiegeln
Ähnlich sieht die Tageszeitung Rzeczpospolita die Situation:
„Die Stabilität der Regierungskoalition in Berlin ist nicht nur durch die Ereignisse in Bayern gefährdet. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat viele Kritiker in ihrer eigenen Partei. Die CDU/CSU hat Ende letzten Jahres bei der Bundestagswahl das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt (32,9 Prozent). Zwei Wochen nach Bayern könnte die CDU bei den hessischen Landtagswahlen bis zu zehn Prozentpunkte schlechter abschneiden als noch vor vier Jahren. ... In der CDU-Zentrale in Berlin könnten dann Stimmen an Gewicht gewinnen, die Merkel absetzen wollen. Merkel könnte dann auf dem CDU-Parteitag im Dezember in Hamburg möglicherweise nicht die Unterstützung erhalten, die für eine weitere effektive Führung der Partei und damit auch der Regierung nötig ist.“
Söders Rechtsruck wurde bestraft
Die Einwanderungspolitik spielte für El Periódico de Catalunya eine Schlüsselrolle bei der Wahl:
„Wie erklärt sich dieser Stimmungswechsel in dem Bundesland mit den höchsten Löhnen und der mit 2,8 Prozent niedrigsten Arbeitslosigkeit des Landes? Durch zwei Gründe: Erstens straften die Wähler die Politik der Großen Koalition ab, samt der internen Streitigkeiten und möglicherweise Merkels Politik der offenen Grenzen für Flüchtlinge vor drei Jahren. Zweitens hat der Rechtsruck des Ministerpräsidenten Markus Söder in der Einwanderungspolitik eine doppelten Effekt: Er legitimierte den Diskurs der Rechtsextremen und verursachte gleichzeitig das Abwandern der gemäßigten Wähler zu den Grünen.“
Binnenmigration macht CSU zu schaffen
Die CSU wusste mit einem veränderten Bayern nicht unmzugehen, kommentiert Mladá fronta dnes:
„Während die CSU die Wähler zurückholen wollte, die von ihr zur Anti-Migrationspartei AfD geflüchtet waren, verlor sie einen gleich großen Teil der Wähler an die Pro-Migrationspartei Grüne. Zudem kamen zu den Urnen neue Wähler, denen die bayerische Tradition, wonach die CSU Bayern verkörpert, nichts sagt. Die bayerische Bevölkerung hat zugelegt. Allerdings nicht so sehr wegen der Zugewanderten aus Syrien oder dem Irak, sondern wegen der Einwanderung aus anderen Teilen Deutschlands - vor allem aus der früheren DDR. Die haben den Wahlen zu großen Teilen ihren Stempel aufgedrückt. Die bayerische Gesellschaft hat sich verändert. Die CSU nicht.“
Hoffnungsschimmer für Europa
Die Bürger halten mehr von der europäischen Gemeinschaft, als viele Politiker glauben, freut sich Andrea Bonanni in La Repubblica, und macht diese Analyse am Abschneiden der Grünen fest:
„Nach der Niederlage [bei der Bundestagwahl] vor einem Jahr stellten die Sozialdemokraten der SPD Europa in den Mittelpunkt ihres Programms. Doch auf die großen Grundsatzerklärungen im Koalitionsvertrag mit Merkel folgten leider keine Fakten. In Bezug auf Europa entpuppte sich die neue Regierung sogar als noch vorsichtiger, zurückhaltender und visionsloser als die vorherige. Deshalb entschieden die Wähler sich, ihre Stimme den Grünen zu geben. Die sind wahrhaft überzeugte Europäer und fähig, ein alternatives Bild von der Gesellschaft aufzuzeigen. Auch sind die Grünen nie von ihrem Grundsatz abgewichen, die Menschenrechte von Flüchtlingen in Deutschland und Europa zu verteidigen.“