Anti-Regierungs-Proteste in Ungarn und Serbien
In Ungarn haben vergangenen Samstag wieder Tausende Menschen gegen die national-konservative Regierung demonstriert. Ausgelöst durch das neue Arbeitszeitgesetz richtet sich der Protest auch gegen Korruption und Demokratieabbau. In Serbien demonstrieren ebenfalls seit Wochen Tausende gegen die Regierung. Sie werfen Präsident Vučić einen autoritären Regierungsstil vor. Werden die Proteste etwas verändern?
EU sollte junge Osteuropäer unterstützen
Inzwischen gibt es in ganz Osteuropa eine neue Generation, die den freiheitlichen Geist der postkommunistischen Zeit wiederhaben will, freut sich die Tageszeitung Die Welt:
„So sagen heute viele der jungen Demonstranten: Wir müssen vollenden, was unsere Eltern begannen. Das Potenzial für Veränderung ist mit Händen zu greifen - aber leider wollen viele dieser jungen Leute in die West-EU abwandern, die ihren Idealen besser entspricht und wo man besser verdient. Das führt zu einem strukturellen Konservativismus im Osten Europas, verstärkt durch Pläne der EU, weniger Geld dorthin zu vergeben. Nur mehr Wohlstand kann die Reformkräfte dauerhaft stärken. Das sollte man sich in Brüssel vor Augen halten.“
Vučić sitzt weiter fest im Sattel
Die Proteste gegen Serbiens Präsidenten werden wohl nichts an seiner Macht ändern, glaubt Delo:
„Auch wenn es den Anschein hat, Serbien erhebe sich langsam gegen Vučić, sitzt dieser fest im Sattel. Die Mehrheit der Serben glaubt noch immer, er sei ein gerechter Herrscher. Über den Großteil der Medien, die er kontrolliert, lässt Vučić das Volk darüber informieren, dass die Gehälter steigen, die Renten ebenso, die Arbeitslosigkeit sinkt, der Wert des Dinar wächst und dass Serbien bald goldene Zeiten bevorstehen. Die Daten darüber, dass Serbien zu den Ländern in Europa mit dem geringsten Wirtschaftswachstum gehört und zu den korruptesten Ländern der Welt zählt, und dass das Land beim Pro-Kopf-Einkommen zu den Schlusslichtern Europas gehört, fallen nicht auf fruchtbaren Boden.“
EVP verrät die Demonstranten
Die Süddeutsche Zeitung macht auf Parallelen zwischen dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und Ungarns Premier Viktor Orbán aufmerksam:
„Sie nutzen ihre Macht, um die Medien unter Kontrolle zu bringen, die Gewaltenteilung auszuhebeln und ein System der Günstlingswirtschaft zu errichten. Doch das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit: Beide nämlich stehen bei ihren Angriffen auf die Demokratie unter dem Schutz der Europäischen Volkspartei. Orbáns Fidesz zählt im EU-Parlament zur EVP-Fraktion, Vučićs Serbische Fortschrittspartei ist assoziiertes EVP-Mitglied. Orbán wird zur Mehrheitsbeschaffung gebraucht, Vučić soll Serbien in die EU führen. Doch wenn dabei der Zweck fast alle Mittel heiligt, verrät die EVP nicht nur die eigenen Ideale. Sie verrät auch all jene, die in Belgrad und Budapest auf die Straße gehen.“
Schuften wie Immigranten
Für die Arbeiter in Ungarn hat sich die Abschottung gegen einwandernde Arbeitskräfte anscheinend nicht ausgezahlt, bemerkt La Vanguardia:
„Tausende Ungarn gehen auf die Straße gegen Gesetze, die es Arbeitgebern erlauben, den Angestellten 400 Überstunden im Jahr abzuverlangen, die erst bis zu drei Jahre später bezahlt werden müssen. Der Wert der Arbeit wird verbilligt in einem Land, das sich der Einwanderung verschließt. Viele Ungarn haben sich vom fremdenfeindlichen Diskurs Viktor Orbáns anstecken lassen. Jetzt merken sie, dass sie selbst schuften müssen, als ob sie gerade angekommene Immigranten wären.“
Mittelschicht fühlt sich betrogen
Auch die Demonstranten in Serbien fordern eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse, vor allem vor dem Hintergrund, dass Vučić ihnen diese im Wahlkampf versprochen hatte, erklärt Večer:
„Vučić versprach damals, er werde die Stimme der stillen und übersehenen Mehrheit sein, die unter der Korruption und den Exzessen der früheren politischen Führung litt. Doch als er Präsident wurde, sah seine Politik aus, wie die von Emmanuel Macron. Die Menschen, die heute gegen Vučić demonstrieren, sind zum Großteil Vertreter der Mittelschicht, also diejenigen, denen eine solche Politik zumindest theoretisch gefallen sollte. Doch das tut sie nicht. Und deshalb tragen einige von ihnen gelbe Westen. Vučić hat sich fast alle Medien untergeordnet und vom Kampf gegen die Korruption sieht man nicht viel. Wirtschaftswachstum und die Modernisierung Serbiens gehen nur im Schneckentempo voran.“