Nach zähem Ringen: Neue Regierung in Schweden
Mehr als vier Monate nach der Wahl ist Schwedens Premier Stefan Löfven für eine zweite Amtszeit gewählt worden. Er führt eine Minderheitsregierung aus Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Centerpartiet. Die Linken hatten sich bei der Wahl des Ministerpräsidenten enthalten. Kommentatoren freuen sich über ein historisches Bündnis. Doch die Art der Regierungsbildung habe der Demokratie geschadet.
Eine historische Entscheidung
Ob die blockübergreifende Kooperation eine Zukunft haben wird, ist nach Ansicht von Turun Sanomat unklar:
„Die Regierungslösung ist historisch. ... Löfven ist es gelungen, die Reihen der konservativen Allianz zu durchbrechen. Es wurde eine blockübergreifende Zusammenarbeit vereinbart. Unzufriedenheit ist noch die harmloseste Beschreibung für die Stimmung bei der oppositionellen Moderaten Sammlungspartei und bei den Christdemokraten. ... Zufriedener dürften die Schwedendemokraten sein, die in der Lösung die Chance auf vorgezogene Wahlen und einen Zuwachs bei der Zahl ihrer Unterstützer sehen. ... Die Zeit wird zeigen, ob diese Art der Kooperation ein einmaliger Versuch war oder ob es in Schweden zu einer langfristigen Kursänderung kommt.“
Vorbildliches Bündnis gegen rechts
Schwedens Regierung zeigt, dass rechte Parteien nicht immer an der Macht sein müssen, konstatiert Politiken:
„Im politischen Dänemark ist es ein beliebter Sport, Schweden zu kritisieren und darauf zu beharren, dass unsere nordischen Brüder sich mit ihrem Humanismus auf den falschen Weg begeben. Die Kritik ist nicht grundlos, doch vielleicht können die Schweden die Dänen politisch das eine oder andere lehren. Vor allem, dass es kein Naturgesetz ist, dass rechtsnationalistische Parteien das Recht bekommen, alles zu bestimmen. Dass eine Mehrheit sich dafür entscheiden kann, zusammenzustehen und einen anderen Weg zu gehen. Und dass ausländerkritische Stimmen letztlich nicht immer gewinnen müssen.“
Schaden für die Demokratie
Liberale und Centerpartiet hatten erklärt, keine sozialdemokratische Regierung zu unterstützen - und es dann doch getan. Upsala Nya Tidning sieht in dieser wankelmütigen Haltung ein Problem für die Demokratie:
„Eine Umfrage zeigt, dass das Vertrauen in die Politiker bei 70 Prozent der Schweden zurückgegangen ist. ... Wenn das politische Spiel nur wie ein Kampf um persönliche Macht aussieht, kann man das verstehen. Die Wähler wollen nicht, dass die Volksvertreter nur um der Macht willen um Ämter kämpfen. Wenn es den Politikern um politische Inhalte geht, sieht es etwas anders aus. ... Doch wie sollen die Wähler wissen, worum es in diesem Machtkampf gerade geht? Politiker und Medien müssen daher stets darüber nachdenken, wie sie sich ausdrücken. ... Sonst wird die öffentliche Debatte unehrlich und die Demokratie beschädigt. Und alle bezahlen einen Preis.“
Linkspartei übernimmt als einzige Verantwortung
Die Aufforderung an die Linkspartei, der Vereinbarung zuzustimmen, um die Schwedendemokraten von Einfluss fernzuhalten, findet Aftonbladet verlogen:
„Gibt es in Löfvens Nähe wirklich niemanden, der ihm erklärt, warum Parteien wie die Schwedendemokraten in allen europäischen Ländern zulegen? Wenn wirklich alle solche Angst vor der Partei haben, sollte die Linkspartei mehr Einfluss in der schwedischen Politik bekommen [statt gar keinen]. Rechtspopulismus wird nämlich mit mehr Demokratie und geringeren sozialen Unterschieden verhindert. Nicht mit Steuersenkungen für die Wohlhabenden. Genau deshalb ist die Linkspartei derzeit die einzige Partei, die Verantwortung für das Land übernimmt. Sie sagt nein zu den Rechtsruck-Exzessen, auf die sich Löfven und die Mitteparteien geeinigt haben. “
So werden Rechtsextreme nicht ausgebremst
Schwedens Pakt gegen die Extremisten sieht El País als weiteres Experiment in der Versuchsreihe zum Umgang mit Rechts und protokolliert erste Ergebnisse:
„Erste Schlüsse kann man schon ziehen. Erstens zeigt diese Art von Pakt zwar eine klare Trennlinie auf zwischen demokratischen Kräften und Kräften, die die Demokratie nur zur Machterlangung ausnutzen. Aber das kann auch zur Schwächung der Erstgenannten führen. In Deutschland zum Beispiel litten die Sozialdemokraten unter der Koalition mit den Christdemokraten. Dennoch wiederholten sie das Experiment, um den Einfluss der Rechtsextremen zu verhindern. Zweitens ist es vorteilhaft, wenn die Rechtsextremen nicht die einzige Alternative zu den demokratischen Parteien bilden, weil auch das sie am Ende stärkt.“
Wer schafft sich schon freiwillig selbst ab?
Expressen glaubt nicht, dass Linkspartei-Chef Jonas Sjöstedt einem Deal zustimmt, der seiner Partei vier Jahre lang jeglichen Einfluss verwehrt:
„Wieso um alles in der Welt sollte Sjöstedt ja zu dieser Regierung sagen? Eine Partei, die aktiv oder passiv eine Regierung stützt, die das ausdrückliche Ziel hat, diese Partei machtlos zu machen, hat keine Existenzberechtigung mehr. ... Wenn Sjöstedt nicht nein sagt, tendiert seine politische Glaubwürdigkeit gegen null. Er schafft sich selbst ab. Das muss [Zentrumspartei-Chefin] Annie Lööf doch begreifen? Sie muss einsehen, dass sie Sjöstedt in eine Lage versetzt hat, in der er entscheiden muss, ob er zu dieser Regierung nein sagt oder politischen Selbstmord begeht. Das muss von Lööfs Seite eine Provokation sein.“
Linkspartei spielt mit dem Feuer
Sollte die Linkspartei Löfven verhindern, bekommen jedoch die nationalistischen Schwedendemokraten eine neue Chance, warnt Aftonbladet:
„Prominente Repräsentanten der Linkspartei empfehlen, Löfven zu Fall zu bringen. 'Die Linkspartei, die ich kenne, lässt sich nicht demütigen', schreibt der frühere Parteichef Lars Ohly in Svenska Dagbladet. Fällt Löfven, dann bleibt nur die vierte und letzte Abstimmung, ehe automatisch Neuwahlen ausgerufen werden. Angesichts dieser Aussicht ist es wahrscheinlich, dass [Konservativen-Chef] Ulf Kristersson im Parlament zum Ministerpräsidenten gewählt wird. … Nach jüngsten Meldungen erwägt die Linkspartei, Löfven abzulehnen. Damit stünden wir wieder am Anfang. Kristersson kann immer noch Ministerpräsident werden und die Schwedendemokraten können [als seine parlamentarische Stütze] immer noch Macht über Schweden bekommen.“
Jahrzehntelanges Gleichgewicht zerstört
Das Wahlergebnis hat die seit 50 Jahren andauernde schwedische Blockpolitik zwischen dem bürgerlich-konservativen und dem linksliberalen Lager beendet, verdeutlicht das linksliberale Onlineportal Mérce:
„Für diese historische Wende gibt es zwei Erklärungen: Den kontinuierlichen Bedeutungsverlust der dominierenden Sozialdemokraten in den vergangenen 20 Jahren und das seit dem Durchbruch der Schwedendemokraten 2010 kontinuierliche Wachstum dieser Partei. Oberflächlich betrachtet stehen die Schweden einem mathematischen Problem gegenüber: Zwar sind die Sozialdemokraten noch bei weitem die Größten, aber sie sind nicht mehr groß genug, um mit Verbündeten von Fall zu Fall zu regieren. Und die Schwedendemokraten sind zu groß, als dass irgendeine Seite eine Regierung bilden könnte.“