Wohin führen Neuwahlen Spanien?
In Spanien finden am 28. April Neuwahlen statt. Das spanische Parlament hatte vergangene Woche den Haushaltsentwurf der Minderheitsregierung von Premier Pedro Sánchez abgelehnt, weil die katalanischen Regionalparteien ihre Zustimmung verweigerten. Wie sehr die Katalonien-Krise Spanien gespalten hat und was das für die Wahl bedeutet, analysieren Kommentatoren.
Früher Wahltermin nutzt Sánchez
Die knappe Zeit bis zum Urnengang am 28. April hilft den Sozialisten, glaubt der Soziologe Jorge Lago in ctxt.es:
„Bis April bleibt der [konservativen] PP keine Zeit, wieder in die Mitte zurückzukehren, nach ihrem extremen Rechtsruck. ... Auch Ciudadanos bleibt keine Zeit, sich von dem gemeinsamen Demo-Foto mit [der rechtsextremen Partei] Vox zu erholen. Alles, was links von diesem Foto ist, ist Sánchez' Potenzial. ... Solange der Prozess gegen die Separatisten läuft, flaut der Katalonien-Konflikt etwas ab, weil er eine Lösung zu haben scheint. Ein Wahlkampf vor dem Urteil ist für Sánchez wohl besser als danach. Mit dem Urteil wird man politisch umgehen müssen. So lange es kein Urteil gibt, kann symbolisch alles in die Hände der Richter gelegt werden.“
Katalonische Separatisten schuld an Spaltung
Die Spannungen zwischen Separatisten und Zentralisten hat Spanien massiv polarisiert, beklagt die Neue Zürcher Zeitung:
„Das Treiben der Separatisten in Katalonien hat quer durch die spanische Gesellschaft, rechts wie links, nationalistische Instinkte geweckt und diejenigen Kräfte gestärkt, die eine zentralistische Staatsauffassung pflegen. ... Die Katalonien-Frage wird den Wahlkampf beherrschen, zumal gleichzeitig das Verfahren gegen die Separatistenführer vor dem obersten Gericht in Madrid stattfindet. Die Vorgänge im Gerichtssaal und auf der politischen Bühne werden sich gegenseitig beeinflussen und verstärken. So, wie die Dinge liegen, können die Rechtsparteien auf starken Zulauf der Wähler hoffen, weil sie gegen die 'Putschisten' in Katalonien eine Politik der starken Hand versprechen.“
Reaktionäre Ideologie auf dem Vormarsch
Beunruhigt über das Erstarken der Rechtsextremen in Spanien zeigt sich Naftemporiki:
„Vox-Chef Santiago Abascal unterstützt die Forderung nach einer Abschaffung des dezentralisierten Regierungssystems in Spanien, das Regionen wie Katalonien oder dem Baskenland eine bedeutende politische und administrative Autonomie verleiht. ... Hand in Hand mit Nationalismus gehen aber auch andere reaktionäre Ideologien. Vox fordert unter anderem die Abschaffung der 'radikalen feministischen Institutionen', die Aufhebung von Gesetzen zu Gewalt gegen Frauen und solchen, die mit der Auseinandersetzung der faschistischen Vergangenheit des Landes zusammenhängen.“
Anti-Europa-Wahlkampf wird es nicht geben
Dass sich durch einen Rechtsruck in Spanien ähnliche Verhältnisse wie in Italien ergeben, glaubt das Handelsblatt nicht:
„Die großen Parteien in Madrid stehen alle klar hinter Europa, und in der spanischen Bevölkerung genießen EU-Institutionen einen besseren Ruf als die eigenen. Mit Europa-Schelte lassen sich deshalb in Spanien keine politischen Erfolge erzielen. Dass es eine rechte Mehrheit geben wird, ist auch noch lange nicht ausgemacht. Fest steht nur, dass eine Regierungsbildung angesichts der zunehmend zersplitterten Parteienlandschaft schwierig werden wird.“
Separatisten haben nur eigene Ziele im Kopf
Premier Pedro Sánchez kam gar nicht zum Regieren, analysiert De Volkskrant:
„Mit seinem Haushalt versuchte Sánchez, das linke Lebensgefühl wieder hervorzurufen, das Spanien sieben Jahre lang nicht mehr kannte. ... Doch nur die aktivistisch-linke Podemos und die baskisch-nationalistische PNV blieben Sánchez treu. Die zwei katalanisch-nationalistischen Parteien PDECat und ERC kehrten dem sozialistischen Premier unerbittlich den Rücken zu. Sie können es nicht ertragen, dass ihre Führer so staatsgefährlich sein sollen, dass sie nach Ansicht der Anklage jahrelang ins Gefängnis müssen, während sie selbst gut genug sein sollen, um dem Haushalt eine Mehrheit zu beschaffen. ... Die katalanischen Parteien im Parlament wollten nur eines: ein Referendum zur Selbstbestimmung.“
Ideologie siegt über Pragmatismus
Eine rationale Erklärung, warum der Haushalt scheiterte, gibt es eigentlich nicht, stellt der Deutschlandfunk fest:
„Mehr Geld gegen Kinderarmut. Ein höherer Mindestlohn und höhere Renten - alles mit Zustimmung der EU. Und Katalonien sollte mit höheren Transferleistungen und Investitionen in Milliardenhöhe eine Extra-Streicheleinheit bekommen. Ein Angebot also, das man eigentlich nicht ablehnen kann als Volksvertreter der Katalanen. Die katalanischen Fraktionen im Parlament taten es dennoch. Weil sie nicht pragmatisch, sondern ideologisch denken. Wie kaum ein anderer politischer Konflikt lebt der Katalonienkonflikt von der Zuspitzung, von einer von den Extremen her betriebenen Konfrontation ... . Auf der Strecke aber blieben alle, die sich von den Scharfmachern nicht ins Bockshorn jagen lassen - und sich ganz pragmatische Lösungen für Alltagsprobleme wünschen.“
Katalanische Parteien verspielen einmalige Chance
Anlass für das Votum gegen Sánchez war der Abbruch der Verhandlungen der sozialistischen Regierung mit den katalanischen Separatisten-Parteien ERC und PDECat. Aber die Befürworter der Unabhängigkeit schneiden sich damit vor allem ins eigene Fleisch, glaubt El Periódico de Catalunya:
„So günstige Vorzeichen, um einen politischen Ausweg für die katalanische Situation aushandeln zu können, werden sie nie wieder bekommen. Kommt das rechte Dreiergespann [aus PP, Ciudadanos und Vox] an die Macht, drohen eine permanente Anwendung des Artikels 155 [Aufhebung der regionalen Autonomie], harter Umgang mit den angeklagten Politikern und die Ablehnung jeglicher Strafbefreiung. Und selbst wenn die Sozialisten die Wahl gewinnen und mit Ciudadanos koalieren sollten, würde Ciudadanos jegliche Verhandlungen durch ein Veto blockieren.“
Phase der Unregierbarkeit droht
Die Bildung einer neuen spanischen Regierung wird sehr schwierig werden, fürchtet Financial Times:
„Eine Parlamentswahl im Frühjahr wäre die insgesamt vierte in den vergangenen acht Jahren. Der Ausgang wird vermutlich bestätigen, dass sich Spanien zu einem Fünf-Parteien-System entwickelt hat. Katalonische sowie baskische Nationalisten und andere regionale Vertreter sind da gar nicht mitgezählt. ... Wie sich schon anderswo in Europa gezeigt hat - etwa in Schweden und Deutschland -, machen links- oder rechtsextreme Parteien im Parlament die Bildung von tragfähigen Mitte-rechts- oder Mitte-links-Koalitionsregierungen deutlich schwerer. Die spanische Volkspartei und Ciudadanos haben in Andalusien mit Duldung durch rechtsextreme Kräfte eine Regionalregierung gebildet. Auf gesamtstaatlicher Ebene wäre das jedoch viel umstrittener.“
Neuwahlen könnten Sánchez stärken
Im Falle einer Neuwahl hat Pedro Sánchez gute Chancen, wiedergewählt zu werden, glaubt Diário de Notícias:
„In Spanien scheinen momentan alle Winde zugunsten von Sánchez zu wehen - sogar die jetzige Gegenstimme der katalanischen Unabhängigkeitsparteien. Wer Sánchez beschuldigt hatte, Rajoys Regierung dank Zugeständnissen an die nationalistischen Parteien gestürzt zu haben, muss sich nun fragen, ob dem wirklich so war: Denn schließlich stimmten die katalanischen Unabhängigkeitsparteien gegen den Haushaltsplan der Regierung. Hinzu kommt noch, dass die konservative PP immer mehr Wähler an die rechtspopulistische Partei Vox verliert: Sánchez kann den Aufstieg der Ultrarechten benutzen, um die linke Wählerschaft zu erschrecken. ... Und die spanische Protestpartei Podemos leidet an internen Querelen.“