Unterhaus will Brexit-Aufschub
Das britische Unterhaus hat ein zweites Brexit-Referendum abgelehnt und sich für eine Verschiebung des EU-Austritts ausgesprochen. Am Mittwoch war bereits der No-Deal-Brexit abgelehnt worden. Die Fristverlängerung muss nun von den übrigen 27 EU-Mitgliedsstaaten auf dem Gipfel kommende Woche gebilligt werden. Sollten diese zustimmen?
Chaos muss in London gelöst werden
EU-Ratsvorsitzender Tusk will London entgegenkommen und sich für eine deutliche Verlängerung des Brexits gegenüber den anderen EU-Mitgliedern einsetzen. NRC Handelsblad hält das für die falsche Strategie:
„Das war sicher zu diesem Zeitpunkt kein wirklich kluges Signal von Tusk. Dem von Premierministerin May bis zum Gehtnichtmehr ausgesprochenen 'Brexit means Brexit' steht das 'This deal is the only deal' der EU gegenüber. Wenn man eine Verschiebung um eine lange Zeit zugesteht, erweckt das den Eindruck, dass doch wieder verhandelt werden kann. Aber gerade dazu hat die Europäische Union keinen einzigen Grund. Das Problem liegt bei den Briten, die auch die Verursacher sind. Sie müssen es selbst lösen.“
Trojanische Pferde im EU-Parlament
Angesichts der dann notwendigen Beteiligung Großbritanniens an der EU-Wahl sollte sich die Union überlegen, wie viel Zeitverzug sie London beim Brexit gewährt, mahnt Pieter Cleppe, Chef des Thinktanks Open Europe, in The Daily Telegraph:
„Wenn es für die höchsten Posten in der EU-Kommission jeweils zwei oder drei aussichtsreiche Kandidaten gibt, könnte Großbritannien als Strippenzieher agieren. Wie attraktiv erscheint das den EU-27? Denn die britische Regierung könnte ihren Einfluss in diesen Debatten geschickt einsetzen, um in den Brexit-Verhandlungen Druck aufzubauen. ... Und wenn Großbritannien eine neue Heerschar an EU-Parlamentariern nach Brüssel und Straßburg entsendet, unter denen sich zweifelsohne viele Euroskeptiker befinden würden, wäre die Chance des Parlaments, normal weiterzuarbeiten, noch geringer.“
Briten nicht zum Sündenbock machen
Die Verantwortung für alle Probleme der EU nun den Briten aufzuladen, ist falsch, findet Der Standard:
„Zum Einen könnten die Europäer ihre Probleme anpacken, wenn denn ein Wille dazu vorhanden wäre. Dass Annegret Kramp-Karrenbauer und Emmanuel Macron diametral unterschiedliche Visionen von der Eurozone und anderen wichtigen Projekten verfolgen, kann man wirklich nicht den Briten in die Schuhe schieben. Zum Anderen ist das europäische Einheitsprojekt kein Selbstzweck. Es dient dem Wohl aller Bürger des Kontinents. Die Selbstbezogenheit Brüssels zieht keineswegs nur in Großbritannien Kritik auf sich. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sollten dem vom Nationalismusfieber geschüttelten Land auch weiterhin die Tür offen halten.“
EU kann sich entspannt zurücklehnen
Das Hin und Her um den Brexit ist nur für die Briten ein Problem, glaubt die regierungsnahe Tageszeitung Magyar Nemzet:
„Die EU ist in der unendlich bequemen Situation, im Fahrwasser der chaotischen britischen Innenpolitik zu treiben und mit einem 'Wir haben alles getan' die Ereignisse zur Kenntnis zu nehmen. Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rats, hat beispielsweise gerade den Brief eines kleinen britischen Mädchens an ihn veröffentlicht, dem er versicherte, dass die Union ihr für immer in Freundschaft verbunden bleiben wird. Ein billiger Kampagnentrick oder nicht, es zeigt hervorragend, dass die Marathon-Brexit-Abstimmungen in Wahrheit nicht Brüssel Kopfzerbrechen bereiten.“
Wir werden endgültig zur Lachnummer
Das Parlament sollte Mays Brexit-Deal annehmen statt Zeit zu schinden, appelliert The Sun:
„Der Deal der Regierungschefin ist weder im Parlament noch in der Öffentlichkeit beliebt. Doch am Ende des Tages könnte uns ein superweicher Nicht-EU-Austritt aufgebürdet werden. Die Wähler sind nicht dumm. Sie werden wissen, dass ihnen etwas geraubt wurde und werden sich an der Wahlurne rächen. ... Begreifen die radikalen EU-Gegner unter den Tories, wie schlimm das enden könnte? ... Die Anti-Brexit-Abgeordneten werden heute dafür stimmen, dass Theresa May die EU um mehr Zeit anfleht, um den Brexit zu verschieben. Das wird unsere totale Demütigung vor den Augen der Welt beinahe perfekt machen. Wenn May ihren Deal in den kommenden Tagen nicht doch noch durchs Parlament bringt, werden wir Brüssel auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein.“
Widerstand der EU ist kontraproduktiv
Im Sinne aller Beteiligten muss die EU den Briten nun entgegenkommen, mahnt Göteborgs-Posten:
„Ein Brexit ohne Abkommen wäre nicht gut, weder für Großbritannien, noch für den Handel, noch für die EU. Dass die EU den Briten keine Rosinenpickerei gestatten will, ist verständlich. Die Befürchtung, andere Länder könnten dem Beispiel Londons folgen, ist dennoch übertrieben. Wenige Länder können sich mit Großbritannien als der fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt messen. ... Der Brexit ist ein Faktum. Ein betrübliches Faktum in der Tat. Dennoch müssen die EU-Länder alles tun, um Theresa May dabei zu helfen, einen geordneten Austritt zu erreichen. Darauf zu vertrauen, dass die Briten noch vor dem Sommer zu Kreuze kriechen, würde bedeuten, Europas Stabilität aufs Spiel zu setzen.“
Großbritannien ist mutterseelenallein
Selbst Großbritanniens engste Verbündete in der EU, die Niederlande und Dänemark, scheinen die Nase voll zu haben, analysiert Jutarnji list:
„Mark Rutte sagte, der Brexit ließe sich nur dann verschieben, wenn London klar benennt, was sich in dieser Zeit noch erreichen lässt. Der dänische Premier Lars Rasmussen ließ kurz ausrichten: Ab Mittwoch werden die Vorbereitungen für einen No-Deal-Brexit beschleunigt. ... Alle verlieren mit einem harten Brexit. Das scheint jedem klar zu sein, außer den [britischen] konservativen Abgeordneten, die in ihrem Elfenbeinturm der 'Jungs aus Eton' wohnen. Und ihnen kann es auch egal sein: Die negativen Folgen des Brexit werden sie nicht zu spüren bekommen und ihre brennenden Anhänger werden sie danach noch mehr lieben. So wie Donald Trump von seinen geliebt wird.“
Schlimmer geht nimmer
May hätte für ein zweites Referendum plädieren müssen, resümiert Helsingin Sanomat:
„Man darf nicht vergessen, dass May eine Aufgabe aufgehalst bekam, die nicht gelingen konnte. Großbritannien konnte nicht so aus der EU austreten, wie es den Briten vor dem Referendum verkauft worden war. … May hätte aber durchaus erklären können, dass der Brexit in eine Sackgasse geraten sei und dass das Volk noch einmal befragt werden müsse. Dies wäre keine Missachtung des Volkswillens gewesen, da die Alternativen diesmal besser bekannt gewesen wären. Die Entscheidung für eine Abstimmung hätte ihrer eigenen Karriere, ihrer Partei und ihrem Land nicht mehr geschadet als es die jetzige ausweglose Situation tut.“