Unterhaus-Speaker verhindert Brexit-Votum
Theresa May wollte dem Unterhaus am heutigen Mittwoch erneut ihren Brexit-Deal vorlegen, doch Parlamentspräsident Bercow hat eine Abstimmung darüber verhindert. Nun muss die Premierministerin entweder das Austrittsabkommen ändern, das Parlament auflösen oder eine Mehrheit der Abgeordneten hinter sich bringen, die eine dritte Abstimmung durchsetzen. War das ein guter Schachzug von Bercow?
Bercow ist der Mann der Stunde
Die Tageszeitung Les Echos lobt den strategischen Zug Bercows:
„In seinem chaotischen Land scheint John Bercows wichtigste Aufgabe darin zu bestehen, unaufhörlich zur Ordnung zu rufen. Seine Krawatten sind so grell wie seine Stimme, aber in diesem Parlament in hellem Aufruhr ist der Speaker, oder anders gesagt, der Vorsitzende des House of Commons, der Mann der Stunde. ... Er hat einen alten Text von 1604 ausgegraben, der es dem Parlament laut seiner Interpretation untersagt, noch einmal über die gleiche Frage abzustimmen. Das ist das Ende für Mays Vorhaben, nochmals ohne Änderung über ihr Brexit-Abkommen abstimmen zu lassen. Damit könnte London gezwungen sein, Brüssel um einen [längeren] Aufschub zu bitten, sodass man noch ein wenig an der Sache feilen könnte.“
So wird das Nichts mit dem Aufschub
Der Chef des britischen Parlaments verkompliziert die Situation um den Brexit zusätzlich, findet hingegen Jutarnji list:
„Die Situation in Großbritannien ist so verfahren, dass man sich nun auf ein Gesetz aus dem 17. Jahrhundert beruft, das besagt, dass der gleiche Entwurf ohne Änderungen innerhalb einer Legislaturperiode nicht so oft zur Abstimmung zugelassen werden kann. Deshalb ist unklar, ob eine dritte Abstimmung über das Abkommen im britischen Parlament möglich sein wird. Sollte der Vorschlag [für den Brexit-Vertrag] durch ein Wunder doch noch durchkommen, wäre es einfacher für die EU, Großbritannien einen Aufschub zu gewähren. Denn sie wüsste, zu welchem Zweck der Brexit mehrere Monate verschoben wird und die Situation wäre etwas vorhersehbarer.“
Gordischer Knoten ist unlösbar
Dass der Brexit die britische Innenpolitik vor eine Zerreißprobe gestellt hat, ist nicht Schuld der Regierungschefin, meint The Times:
„Die Bedingungen für einen geordneten EU-Austritt sind nicht so wie sie sind, weil Theresa May unentschlossen war oder schlecht verhandelt hat. Nein, so ist der Brexit einfach. ... Es ist nicht der Backstop, der uns gefangen hält, sondern die Notwendigkeit, eine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland zu verhindern. Und dieses Problem wird nicht einfach verschwinden. Weil es nämlich schlicht keine Lösung für die innerirische Grenze gibt. ... Wer auch immer Theresa May als Tory-Parteichef ablösen würde - Henry Kissinger, Nelson Mandela, Donald Trump -, Großbritannien würde sich in der gleichen Situation wiederfinden: in einer relativ schwachen Verhandlungsposition mit einem ziemlich geeinten Gegenüber.“
In London wird immerhin noch debattiert
Die Berliner Zeitung findet es billig und primitiv, wenn ausgerechnet Deutsche sich über das angebliche Chaos im britischen Unterhaus erheben:
„[Es gilt] zu verstehen, dass es Zeit erfordert, um die tiefgehende Spaltung des Landes mit den Mitteln der repräsentativen Demokratie zu überwinden. ... Wo bitte erlebt man in Deutschland je derart engagierte Debatten? Wie würde Angela Merkel aussehen, wenn sie tagelang Auge in Auge mit den Oppositionsführern, zudem bedrängt aus den eigenen Reihen, in ständigem und öffentlichem Wortwechsel Rede und Antwort stehen müsste? Gemessen an den althergebrachten Gepflogenheiten und der Sitzordnung des Unterhauses ist unser Bundestag eine sterile, autoritär verregelte Zwangsveranstaltung.“
Hoch gepokert und verloren
John Bercow hat Mays Spiel auf Zeit ein jähes Ende bereitet, glaubt The Guardian:
„Die Entscheidung macht die Pläne Theresa Mays für diese Woche zunichte. ... Hätten einige Unterhausabgeordnete der Tories oder der nordirischen DUP vielleicht anders agiert, wenn ihnen bewusst gewesen wäre, dass die Abstimmung vergangene Woche Mays letzte Chance war, ihren Deal durchs Parlament zu bringen? Die Strategie der Premierministerin baute ja darauf auf, Optionen vom Tisch zu nehmen, so dass die Abgeordneten letztlich zum Schluss kämen, dass Mays Deal der einzig machbare Brexit ist. Damit das funktioniert, musste sie immer weiter bluffen und ständig den Einsatz erhöhen. Ihr war nicht klar, dass letztlich der Parlamentspräsident das Pokerspiel leitet. Und jetzt ist alles möglich.“
Mays Rücktritt ist überfällig
May trägt immer noch die Hauptschuld an der Krise, konstatiert London-Korrespondent Jens-Peter Marquart auf tagesschau.de:
„Theresa May hat den Austritt aus der Europäischen Union so gründlich an die Wand gefahren, wie man es sich 2016 nicht einmal in seinen schlimmsten Albträumen vorstellen konnte. ... Ende der Woche fährt die Premierministerin wieder zu einem EU-Gipfel mit nichts in der Hand, hilflos und ohne Plan. Aber mit dem Wunsch, dass die anderen 27 Staats- und Regierungschefs den britischen Austritt noch einmal hinausschieben. Wozu? Mit welchem Ziel? Wie lange? Es ist Zeit, dass diese Premierministerin endlich aufhört, den Rest der EU zu nerven. Ihr Rücktritt ist überfällig. Vielleicht findet ja eine andere Premierministerin oder ein anderer Premierminister irgendwo in der langen britischen Geschichte eine Idee, wie man elegant aus der EU herauskommt.“