Die Nato wird 70: Ein Grund zum Feiern?
Das 70. Jubiläum der Nato wird von Zwist überschattet. In Washington kamen die Außenminister der Mitgliedstaaten zusammen und Generalsekretär Jens Stoltenberg erinnerte an die Errungenschaften des Bündnisses. Doch zuvor hatte das Weiße Haus scharfe Kritik an Deutschlands geringen Verteidigungsausgaben geäußert. Der Streit ums Geld ist nicht das einzige Problem, das die Nato hat, meinen Kommentatoren.
Bündnis dient allein der Rüstungsindustrie
Russland kann als Daseinszweck der Nato nicht mehr herhalten, finden die Autoren eines Nato-kritischen Buchs, Hervé Hannoun und Peter Dittus, in Mediapart:
„Es ist höchst unwahrscheinlich, dass ein demografisch schwächelndes Land, das keine Wirtschaftsgroßmacht ist und daher Schwierigkeiten hat, jährlich rund 50 Milliarden Dollar in seine Verteidigung zu stecken, die Europäische Union militärisch bedrohen wird. Hauptfunktion der 'russischen Bedrohung' besteht aus Sicht des militärisch-industriellen Komplexes darin, den aktuellen Fluss öffentlicher Gelder sicherzustellen und somit dafür zu sorgen, dass im Westen Militärausgaben weiterhin klaren Vorrang vor humanitären Problemen wie Ökowende, Bekämpfung von Epidemien, Wassermangel, Armut und Unterernährung haben.“
Der eigentliche Feind darf nicht übersehen werden
Die Fokussierung auf Russland als Feind kritisiert auch Népszava:
„Seit dem letzten runden Geburtstag der Nato hat sich die Situation in Europa stark verändert. Russland hat die Krim annektiert und in der Ostukraine einen bewaffneten Konflikt hervorgerufen - es hat erneut sein aggressives Gesicht gezeigt. ... Dabei ist Russland eigentlich gar nicht mehr der wichtigste globale Konkurrent, sondern China. Aber für Wladimir Putin ist es wichtig, auch um sich seine Unterstützung zu Hause zu sichern, dass sein Land als unumgängliche Großmacht erscheint. Darum liefert der russische Präsident eifrig Argumente, für diejenigen, die die Wichtigkeit der Nato betonen, was Amerikas Aufmerksamkeit vom Fernen Osten ablenkt, der immer wichtiger wird.“
Zusammen stehen sie nur für das Gruppenfoto
Die Nato ist schon längst keine geschlossene Gemeinschaft mehr, beobachtet Kommersant:
„Ein Nato-Staat, die USA, verdreht einem anderen Mitglied, der Türkei, den Arm, um zu erzwingen, dass diese auf den Ankauf des russischen S-400-Systems [zur Raketenabwehr] verzichtet. ... Die USA, die in dem S-400 eine Konkurrenz zu ihrem Raketenabwehr-Komplex Patriot sehen, bezeichnen das türkische Vorhaben als Bedrohung der eigenen Sicherheit und derjenigen der Alliierten. Vor dem Hintergrund dieses aufscheinenden Interessenkonflikts denken führende EU-Staaten über die Schaffung einer eigenen europäischen Armee nach. ... Es zeigt sich, dass die Nato schon lange kein Mannschaftsspiel mehr betreibt. Sie erweckt nur diesen Anschein, indem sie die Entschlossenheit, Russland mit gemeinsamen Kräften zurückzuhalten, deklariert und mit Gruppenfotos bekräftigt.“
Zahlen-Obsession kommt nicht von ungefähr
Der Jubiläumsgipfel in Washington zeigt die Nato in keiner guten Verfassung, unkt USA-Korrespondent Federico Rampini in La Repubblica:
„Donald Trump eröffnete den Gipfel mit Lob und Tadel: Er prahlt, er habe die Europäer bereits gezwungen, mehr Geld für die gemeinsame Sicherheit auszugeben - und klagt gleichzeitig, dass sie immer noch nicht genug tun. Doch werde er sie zwingen, mehr zu zahlen. Viele US-Präsidenten, darunter auch Demokraten, haben den militärischen Parasitismus ihrer Verbündeten angeprangert. Trump fügt die für ihn typische Virulenz hinzu. Aber vor allem: Es ist sein Hauptthema. Die obsessive Aufmerksamkeit, die der buchhalterischen Dimension gewidmet wird, macht bereits deutlich, dass etwas verloren gegangen ist.“
Deutschland ist ein Problemkind
Lidové noviny schließt sich der Kritik an den zu geringen Militärausgaben Deutschlands an:
„Der Automatismus, mit dem sich Deutschland der amerikanischen Sicherheitsgarantie bedient, ist ein Risiko. Nur wenige Deutsche warnen, dass ein so erfolgreiches Land nicht ständig ablehnen kann, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Militär auszugeben. Hier geht es nicht um Widerwillen gegen Trump. Hier geht es um die Selbstbehauptung Deutschlands als westliche Nation. In einer Zeit, da der Brexit als Symptom bei der Diagnose der Probleme der EU hilft, kann die deutsche Haltung zur Nato als Symptom zur Diagnose der Probleme im nordatlantischen Bündnis dienen.“
Allianz bleibt unentbehrlich
Wer glaubt, die Nato habe ausgedient, der sollte nur mal eine Landkarte zur Hand nehmen, mahnt tagesschau.de:
„Aus der Perspektive eines Warschauers, Bukaresters oder Sofioten sieht die Welt etwas anders aus. Der seit fünf Jahren schwelende hybride Krieg in der Ost-Ukraine, der schon mehrere tausend Tote gefordert hat, und die im Handstreich vollzogene Annexion der Krim im Frühjahr 2014, haben den jungen Demokratien am östlichen Rand der EU drastisch vor Augen geführt, wie schnell es mit der nationalen Selbstbestimmung und der territorialen Unversehrtheit vorbei sein kann. Aber nicht nur ein wieder aggressiver auftretendes Russland unter Präsident Wladimir Putin, auch ein rasant rüstendes China … mag als Mahnung dienen. … [F]ür unser aller Sicherheit ist die Nato auf absehbare Zeit unentbehrlich.“
EU braucht ihre eigene Armee
70 Jahre nach Gründung der Nato ist es Zeit, sie zugunsten einer europäischen Armee aufzulösen, meint hingegen Der Standard:
„Innerhalb Europas sind die Werte homogener als im transatlantischen Bündnis. Die EU kann sich getreu diesem Wertekodex auch auf jene Regionen und Angelegenheiten konzentrieren, die ihr tatsächlich wichtig sind. Die USA und die Post-Brexit-Briten werden Europa - auch in vertraglicher Form - militärisch sicherlich weiter gewogen bleiben und es im Ernstfall unterstützen. Aber die EU-Staaten müssen endlich ihre Verteidigungskräfte bündeln und Aufgaben effizient verteilen - und sich nicht länger auf die USA verlassen.“