Erdoğans Partei verliert Istanbul
Trotz des Protests der Regierungspartei AKP hat die Wahlbehörde Ekrem İmamoğlu von der oppositionellen CHP zum Bürgermeister von Istanbul ernannt. Er hatte die Kommunalwahl Ende März mit hauchdünnem Vorsprung vor AKP-Kandidat Binali Yıldırım gewonnen. Erdoğans Partei beantragte eine Wahlwiederholung. Kommentatoren halten das für keine kluge Idee.
Riskante Spielerei der AKP
Mit ihrem Einspruch gegen das Wahlergebnis könnte die AKP dem ganzen Land schaden, glaubt die Süddeutsche Zeitung:
„Nicht nur die Peinlichkeit einer möglichen neuen Niederlage, sondern auch ein Pyrrhussieg ist möglich. Denn fällt beim nächsten Mal der Vorsprung ähnlich mager aus wie jetzt, nur zugunsten der AKP, dann wird die Opposition diesen Sieg gewiss ebenso anfechten. Dies würde die Phase der politischen Unsicherheit verlängern. Das Nachsehen hätte das ganze Land, das jetzt schon in der Rezession steckt mit einer Arbeitslosigkeit von fast 15 Prozent.“
Anfechtung könnte nach hinten losgehen
Die AKP sollte das Ergebnis in Istanbul akzeptieren, rät auch Financial Times:
„Eine erzwungene Wahlwiederholung würde die Spannungen mit der EU und den USA verschärfen - und das zu einer Zeit, in der die Beziehungen ohnehin schon belastet sind. Außerdem würde sie die ernsten Probleme der Wirtschaft vergrößern. Diese ist nach dem Absturz der Lira im vergangenen Sommer zum ersten Mal seit zehn Jahren in eine Rezession gerutscht. Eine Wahlwiederholung könnte die so wichtigen ausländischen Geldgeber abschrecken. ... Und dann stellt sich die Frage, ob die regierende AKP einen zweiten Urnengang überhaupt gewinnen würde. ... Es kursieren Gerüchte, wonach deren Kandidat Binali Yıldırım, ein früherer Regierungschef, das Bürgermeisteramt nie angestrebt und keine Lust auf eine Wahlwiederholung habe. Im Gegensatz dazu ist die Opposition hoch motiviert.“
Demokratie erlebt eine Wiedergeburt
Dem Internetportal T24 macht der Wahlsieg des Oppositionskandidaten große Hoffnung:
„İmamoğlu hat zusammen mit seinem Team Millionen Menschen in der Türkei genau wie Obama gezeigt: 'Yes, we can'. Während sich die Regierungsvertreter von Istanbul bis Dubai bei den Millionen-Dollar-Hochzeiten ihrer Unterstützer zeigten und das Volk mit den Worten belehrten 'wenn man täglich drei Sesamringe isst, kommt man mit dem Mindestlohn aus', hat die Opposition auf der Straße friedlich Schulter an Schulter mit dem Volk einen wichtigen Schritt getan, um die Demokratie neu zu errichten. Wir könnten in den nächsten Tagen Zeugen einer Entwicklung werden, in der die AKP ihre Führungsriege inklusive der Minister erneuert, das Bündnis mit der [ultrarechten] MHP überdenkt und versucht, für das Land erneut eine gemeinsame hoffnungsvolle Geschichte zu schreiben.“