Defizit: Was hat Brüssel gegen Italien in der Hand?
Die EU-Kommission will ein Defizitverfahren gegen Italien eröffnen. Das Land steuert auf eine Verschuldung in Höhe von 135 Prozent seiner Wirtschaftsleistung zu - während die Regierung Maßnahmen wie ein Bürgergeld und einen früheren Renteneintritt umsetzt. Kommentatoren glauben nicht, dass Brüssels Disziplinierungsversuche Erfolg haben werden.
Stabilitätspakt nur ein Gentlemen's Agreement
Die Drohung der EU gegen Italien ist so überfällig wie hilflos, urteilt die Neue Zürcher Zeitung:
„Wird tatsächlich ein Defizitverfahren eingeleitet, drohen am Ende finanzielle Sanktionen. Doch das Verfahren ist langwierig und die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Katz-und-Maus-Spiels mit weiteren faulen Kompromissen gross. Einmal mehr zeigt sich eine Achillesferse der Währungsunion: Der Stabilitätspakt … ist letztlich ein Gentlemen's Agreement zwischen Staaten, die in Haushaltsfragen souverän geblieben sind. Wenn Politiker wie Salvini die 'Briefchen aus Brüssel' offen verhöhnen, gibt es abgesehen von den zahnlosen Defizitverfahren keine Remedur.“
Die Provokationen werden nicht enden
Noch wäre ein Einlenken möglich, meint Kolumnist Stefano Folli in La Repubblica:
„Die Einleitung des Strafverfahrens ist sicherlich schwerwiegend, aber noch nicht dramatisch: Im Laufe der Jahre wurde vielen Ländern, auch Italien, damit gedroht. So wie das Verfahren eingeleitet wird, so kann es auch wieder eingestellt werden. Das Problem ist aber, dass die politische Philosophie der gelb-grünen Armee unter dem Kommando der Lega nicht vorsieht, auf Europa mit tugendhaftem Verhalten zu reagieren. Im Gegenteil, sie fordern es mit der Nichteinhaltung der Defizit- und Schuldenparameter heraus.“
Was Besseres fällt der EU wohl nicht ein
Für den immer wieder aufflammenden Streit zwischen EU-Kommission und Defizitsündern sind nicht nur die nationalen Regierungen verantwortlich, meint La Libre Belgique:
„Es ist offensichtlich, dass die überzogenen Versprechen der Populisten angesichts der Haushaltslage, des Schuldenstands und des schwachen Wachstums ihrer Länder unhaltbar sind. Europa gelingt es in seiner Gesamtheit nicht, diese Herausforderung anzugehen. Es ist ein komplexes Problem und die Lösungen stellen sich zweifelsohne so kompliziert wie unvollkommen dar. Doch wie lange wollen wir uns noch damit zufriedengeben, routinemäßig derartige Pamphlete zur öffentlichen Finanzlage zu versenden? Zeugt dieser halbjährliche Mechanismus nicht von einer festgefahrenen Misere und von einer fehlenden strategischen Vision dazu, wie die Mitgliedsstaaten ihre Reformen umsetzen sollen?“
Sparen ist kein Allheilmittel
Eine expansive Fiskalpolitik, wie in Italien, kann auch zum Erfolg führen, gibt PestiSrácok zu bedenken:
„Die Geldspritze belebt die Wirtschaft, die dann die kurzfristig steigenden Schulden ausgleicht. Aber so etwas ist nach Meinung der EU fehl am Platz und keinem Mitgliedsstaat erlaubt. Der Grund ist, dass sich die wirtschaftliche Lage der Mitgliedsstaaten unterscheidet. Man pflegt zu sagen, für die Deutschen ist der Euro zu schwach, während er für viele andere zu stark ist. In einigen nördlichen Staaten und in Deutschland ist der Privatsektor stark, die Banken und Unternehmen haben sehr viel Geld, darum brauchen sie keinen staatlichen Anstoß. Aber in Italien, Frankreich und im vor nicht allzu langer Zeit pleite gegangenen Griechenland ist die Situation anders.“