Was bringen die Wahlen in Spanien?
Am Sonntag finden in Spanien Parlamentswahlen statt, die vierten in vier Jahren. Seit 2015 das Zwei-Parteiensystem aufgebrochen wurde, herrscht politische Instabilität. Umfragen lassen auch dieses Mal unklare Mehrheitsverhältnisse erwarten. Nicht zuletzt nach der TV-Debatte der Spitzenkandidaten am Montag macht sich bei Kommentatoren Resignation breit.
Auf uns wartet eine Scheiß-Zukunft
Voller Abneigung beschreibt Kunsthistoriker Nacho Ruiz in El Huffington Post die TV-Debatte der Spitzenkandidaten:
„Sie wissen es, sagen aber nichts: Wir haben eine Scheiß-Zukunft vor uns. ... Wir sind als Gesellschaft gescheitert, und die fünf Typen verlieren kein Wort darüber. Die Argumente auf ihren Kärtchen beziehen sich auf Kurzfristiges, Eiliges, denn sie wissen: In vier Jahren gehören sie zum alten Eisen. Sie streiten live um ein höheres Ziel: Sie wollen vom Staat - also von uns allen - eine Lizenz in Form eines demokratischen Mandats. ... Sie sind nicht dieselben, aber in einem Punkt gleich: Sie nennen ihre Firmen Parteien und ganz Spanien kauft ihnen ihre Botschaften ab. ... Gestern Abend haben wir wie immer verloren, und gewonnen haben die, die immer gewinnen.“
Und wir müssen das alles schlucken
Geradezu verzweifelt ist eldiario.es:
„Früher haben wir sie alle vier Jahre gewählt, jetzt andauernd. Es scheint, als wiederholten wir das, um ihre Probleme zu lösen - nicht unsere. ... Die Neuwahlen, der Dauerwahlkampf, die Fünfer-Debatte, das Drumherum haben ein verheerendes Gefühl verschärft: Wir sind nicht länger Miteigentümer eines Gemeinschaftsgutes namens Spanien, wir sind ein Produkt. ... Die Neuwahlen waren ein tragischer Fehler. Sie begünstigen vor allem Pablo Casado [von der konservativen Volkspartei] und noch schlimmer, Santiago Abascal und seine Partei Vox, die sich unverhohlen als rechtsextrem darstellt ... Plötzlich müssen wir Fremdenfeindlichkeit, Machismus und Demokratiefeindlichkeit schlucken, als ob das ganz normal wäre.“
Kein Hinweis auf eine Deeskalation
Den Eindruck, dass die TV-Debatte auf eine Verschärfung der Katalonien-Krise hindeutet, hat Népszava:
„Sogar Premier Pedro Sánchez, dem seine Gegner seine allzu nachsichtige Haltung gegenüber den katalonischen Separatisten vorwerfen, hat sich dieses Mal härter gezeigt. ... Die bisherigen Erfahrungen zeigen eindeutig, dass [in Katalonien] auf Härte mit Härte geantwortet wird... Auch die gewaltigen Demonstrationen der vergangenen Wochen in Barcelona zeigen: Ein Teil der Separatisten hält heute nur noch die Abspaltung für akzeptabel und ist bereit, zu diesem Zweck harte Mittel einzusetzen. Das bedeutet nichts Gutes, weder für die sechstgrößte Volkswirtschaft Europas, noch für Europa selbst, wo es an Autonomie- und Unabhängigkeitsbewegungen nicht mangelt.“
Wenn nur die Schulden nicht wären
So schlecht geht es Spanien nicht, doch das könne sich rasch wieder ändern, kommentiert Kauppalehti:
„Im Vergleich zum übrigen Europa hat sich die Wirtschaft Spaniens lange gut behaupten können. Selbst das gebremste Wachstum liegt noch bei etwa zwei Prozent. Der Staat verschuldet sich jedoch fortlaufend weiter. … Im August beliefen sich die Schulden auf 1200 Milliarden Euro. Dies entspricht 97,5 Prozent des BIP. … Dank der EZB-Geldpolitik, die zu negativen Zinsen führt, sinkt die Zinsbelastung sogar für Länder, die jetzt neue Schulden aufnehmen. Schwierig wird es aber, wenn die Zinsen wieder steigen. Vergangenes Jahr beliefen sich Spaniens Zinszahlungen auf gut 30 Milliarden Euro. Schon eine Steigerung des Zinssatzes um einen Prozentpunkt würde sie bald auf über 40 Milliarden Euro ansteigen lassen.“
Spanien kennt nur ganz oder gar nicht
Schuld am Scheitern der Regierungsbildung ist auch das in Spanien vorherrschende Politikverständnis, meint die Süddeutsche Zeitung:
„In der Tat verhält sich jeder der Parteiführer so, als habe er allein das Rezept, der Gesellschaft Wohlstand und Stabilität zu garantieren. Auf nationaler Ebene gab es deshalb noch nie eine Koalition. Auch Sánchez, der so progressiv und europäisch wirkt, steht für diesen machtbewussten spanischen Politikertyp, den der Gedanke antreibt, er müsse in erster Linie die anderen Parteien kleinhalten, anstatt in ihnen mögliche Partner bei der Lösung von Problemen zu sehen. ... Immer mehr ist [auch] bei [Podemos-Chef] Iglesias ein dogmatischer Zug hervorgetreten, der ihn viel an Popularität gekostet hat.“
Mehrheiten sind einfach nicht mehr drin
La Vanguardia kann dem Schauspiel nur noch entgeistert zusehen:
„Pedro Sánchez kündigte Neuwahlen mit der Erklärung an, seine Gegenspieler seien zu unverantwortlich gewesen. Gleichzeitig bat er die Bürger um eine deutlichere Mehrheit, um nicht von anderen abhängig zu sein. Aber heutzutage sind Mehrheiten einfach nicht mehr drin. In zwei Monaten stehen wir in diesem verteufelten Spiel vermutlich wieder auf der Startposition. ... Jetzt macht sich die PSOE Sorgen, die Wähler könnten zuhause bleiben und so die Linke bestrafen, die kein gemeinsames Programm hingekriegt hat. ... In den kommenden Tagen erwartet uns eine Schlacht der Geschichten, in der jede Seite die anderen beschuldigen wird. Genau der richtige Moment, um mit Yoga zu beginnen.“
Per Verfassungsreform aus der Sackgasse
Die Neue Zürcher Zeitung hat eine Idee, wie der Stillstand überwunden werden könnte:
„Für die Abgeordneten mag die politische Blockade bequem sein, dem Land aber schadet sie. So konnten seit dem Frühjahr keine neuen Gesetze eingebracht werden. Investitionen und Reformen werden auf die lange Bank geschoben. Die Regionalregierungen ächzen unter Finanznöten. Dabei wäre es gar nicht so schwer, die politische Lähmung zu überwinden: Es brauchte eine Reform der spanischen Verfassung, deren Artikel 99 extrem lange Fristen zur Regierungsbildung vorsieht. Diesen Luxus kann sich Spanien nicht leisten.“
So instabil wie das Leben der Bürger
Spaniens politische Situation spiegelt die generelle Verfassung des Landes wider, glaubt der Schriftsteller Isaac Rosa in eldiario.es:
„Haben wir die Politiker, die wir verdienen? Haben wir Bürger, abgesehen vom ständigen Wählen und Twittern irgendetwas unternommen, um die Lage zu verbessern? ... Vielleicht steckt ja gar nicht diese oder jene Partei in der Krise, vielleicht reicht sie viel tiefer. Mit neuen Wahlen und neuen Parteien lässt sie sich jedenfalls nicht lösen. Nach der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise, die so viel Zerstörung, Ungleichheit und Unsicherheit gebracht hat, ist es eigentlich nicht überraschend, dass dieses Land so unregierbar und instabil geworden ist wie das Leben vieler Bürger.“
Primitive und unpatriotische Zeiten
Auch La Vanguardia ist verzweifelt:
„Einer aktuellen Studie zufolge gehen 82 Prozent der Spanier davon aus, dass Politiker nur ihre eigenen Interessen verfolgen und die Bürger vergessen. Interessanterweise stellte sich auch heraus, dass die demokratischen Institutionen nicht infrage gestellt werden, wohl aber die politische Elite. ... Wir leben in primitiven, unpatriotischen Zeiten - in einer Ära der Kurzsichtigkeit. Jetzt also Neuwahlen. ... Was passiert, wenn sich das Ergebnis vom 28. April kaum verändert, wie Wahlumfragen prognostizieren? Dann erleben wir erneut diese schäbige Politik, dann scheitern wir wieder als Land. Es ist die Stunde der Verantwortungslosen.“