Österreich: Hat Kurz den Rechtspopulismus besiegt?
Österreichs Ex-Kanzler Kurz ist der große Gewinner der Wahl am Sonntag. Mit 37,2 Prozent sicherte sich seine Partei ÖVP ein Rekordergebnis. Während die rechte FPÖ und die Sozialdemokraten stark verloren, legten die Grünen massiv zu und erzielten rund 14 Prozent. Kommentatoren überlegen, ob die Ära des Rechtspopulismus in Österreich nun beendet ist.
ÖVP-Anhänger wollen keine Grünen
Eine Regierung aus Konservativen und Grünen würde dem Willen der meisten Wähler von Sebastian Kurz widersprechen, kritisiert Die Presse:
„Wer bei dieser Wahl die ÖVP gewählt hat, hat es in der Regel nicht getan, damit Schwarz-Grün herauskommt. Sondern damit der bisherige Weg, der nun einmal türkis-blau war, fortgesetzt wird. Oder der rein türkise, der sich vom türkis-blauen nur in Nuancen unterscheidet. Sebastian Kurz hat nun noch einmal vormalige Wähler der FPÖ hinzugewonnen. Und wer Kurz nicht mehr wählen wollte, weil er ihm zu wenig christlich-sozial, zu wenig links, zu was auch immer war, der ist ohnehin zu den Neos abgebogen. Wer bei dieser Wahl also die ÖVP gewählt hat, wollte eine Fortsetzung des 'Mitte-rechts-Kurses', wie Kurz das selbst nennt. “
Die Wählergunst ist wechselhaft
Die populistischen Parteien sind noch nicht am Ende, konstatiert Helsingin Sanomat:
„Nach Meinung von Beobachtern, die die Höhen und Tiefen des europäischen Populismus verfolgen, gibt es nach der Parlamentswahl in Österreich vom Sonntag Hinweise auf einen Abschwung des Populismus. ... Die populistischen Parteien leben von starken und charismatischen Anführern und wenn deren Image eine Delle bekommt, - so wie es in Österreich dem ehemaligen FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache erging - leidet darunter die gesamte Partei. Und wenn die konkurrierende Partei dann auch noch einen charismatischen Anführer hat, so wie die ÖVP mit Sebastian Kurz, dann verschiebt sich leicht die Wählergunst - aber nicht unbedingt auf Dauer.“
Vernunft wirkt gegen Populismus
In Kurz' Wahlsieg sieht Daily Sabah hingegen ein Zeichen dafür, dass der Konservativismus wieder aufersteht:
„Kurz gelang es nicht nur, die Unterstützung der konservativen Wähler zu erhalten, sondern er brachte auch die Mehrheit der Wähler, die sich von den rechtsextremen und populistischen Argumenten der FPÖ hatten beeinflussen lassen, zur ÖVP zurück. Es gelang ihm auch erfolgreich und meisterhaft, den Wählern zu zeigen, dass rechtsextreme und populistische Politiker tatsächlich nur Skandale und Unsinn verursachen, indem sie Themen wie die Europäische Union, Flüchtlinge, Ausländer, Muslime und Arbeitslosigkeit ausnutzen, um falsche populistische Versprechen zu geben. ... Ebenso bewies er, dass es einer konservativen Partei möglich ist, den Kampf gegen rechtsextreme und populistische Parteien zu gewinnen, indem er den Wählern zeigte, dass diese Parteien reine Zeitverschwendung sind.“
Gewinner sollten regieren
Österreich braucht jetzt eine Koalition aus ÖVP und Grünen, urteilt Der Standard:
„Hier würden sich die beiden großen Sieger des Wahlabends zusammentun: die ÖVP und die Grünen, die sich ins Parlament zurückgekämpft und mit etwa 14 Prozent noch besser abgeschnitten haben als in den Umfragen erwartet. Es wäre ein Novum für Österreich, mit einem Schwerpunkt auf Klimaschutz und Wirtschaftspolitik - keine ganz unwichtigen Themen in unserer Zeit. Kurz könnte wieder als derjenige gelten, der für Veränderung steht, und auch im Ausland sein Image als Partner der Rechten abstreifen. Ein ganz so gefügiger Partner wie die FPÖ wären die Grünen mit ihrer selbstbewussten Basis allerdings nicht.“
Chance für einen echten Aufbruch
Dass sich Kurz nicht noch einmal auf die FPÖ einlässt, sondern das Bündnis mit Grünen und liberalen Neos wagt, hofft die Tageszeitung Die Welt:
„In einer Koalition mit den Rechtspopulisten könnte Kurz die FPÖ besser einhegen und eine weitere Radikalisierung in der Opposition verhindern. Dennoch wäre das riskant: Die FPÖ steht möglicherweise vor einer Spaltung, diese Partei ist in Teilen rechtsextrem, und ihr Appetit auf Reformen ist nur begrenzt. ... [E]in Bündnis mit den Grünen oder den liberalen Neos ... wäre eine Chance für einen echten Aufbruch in Österreich und könnte sogar zum Modellfall werden. Diese neue Allianz aus Konservatismus, Liberalismus und Ökologie könnte eine neue Phase der europäischen Marktwirtschaft einleiten.“
Versuchslabor für Schwarz-Grün
Kurz hat schon immer machtpolitischen Pragmatismus gezeigt, beobachtet Mérce:
„Wenn es darum ging, die Macht zu erlangen sowie aufrechtzuerhalten, hatte Sebastian Kurz niemals Skrupel: Er konnte seine Vorstellungen sowohl mit den Sozialdemokraten als auch mit den rechtsradikalen Freiheitlichen unter einen Hut bringen. In Anbetracht des ausgeprägten Klimabewusstseins der Österreicher hat er in den vergangenen Monaten sogar selbst mit grünen Themen um Wähler geworben. ... Eine Koalition zwischen Konservativen und Grünen ist aber nicht nur in Österreich Thema: Im größten und stärksten Land der EU, Deutschland, steht 2021 die Bundestagswahl an, und nach den heutigen Erhebungen dürfte ein Regierungsbündnis aus CDU und Grünen die Mehrheit erlangen. Insofern könnte Österreich nun zwei Jahre lang zum Versuchslabor für Deutschland werden.“
Wien könnte es Rom nachmachen
Wie in Italien Giuseppe Conte hat nun auch Sebastian Kurz die Möglichkeit einer Kehrtwende in der Europapolitik, analysiert La Repubblica:
„Sebastian Kurz wird eine beachtliche Wendung vollbringen müssen, um den fremdenfeindlichen und euroskeptischen Rechtsextremen, mit denen er bis Mai regierte, den Rücken zu kehren und den Sozialdemokraten die Arme zu öffnen. Oder, wie es in diesen Stunden wahrscheinlicher erscheint, den Grünen. Aber wenn dieses Kunststück gelingen sollte, würde sich der Unterschied vor allem in Europa bemerkbar machen. Dort, wo viele auf einen zweiten 'Fall Conte' hoffen, eine Bestätigung des scheidenden Kanzlers, aber mit einem Juniorpartner, der weniger gegen Brüssel ist und mehr Dialogbereitschaft in den großen europäischen Fragen wie der Migrationspolitik zeigt.“
Kurz setzt auf Stabilität
Auch Pravda mutmaßt, dass Kurz die sichere Bank vorziehen wird:
„Da sich die Freiheitlichen nach ihren Skandalen nicht völlig den Hals brachen, könnte Sebastian Kurz leicht eine neue Koalition mit ihnen eingehen. Es ist jedoch fraglich, ob er bereit ist, ein solches Risiko einzugehen. Der Chef der ÖVP wird für die kommenden vier Jahre voraussichtlich einen stabilen Koalitionspartner suchen. Nach der Bildung mehrerer schwarz-grüner Koalitionen im Nachbarland Deutschland sind auch die österreichischen Christdemokraten nicht dagegen. ... Kurz zufolge ist selbst ein Minderheitskabinett nicht ausgeschlossen. Das würde aber eher eine unwahrscheinliche Variante darstellen.“