Was ist das Erbe von Draghis Zinspolitik?
Nach acht Jahren hat Mario Draghi diesen Donnerstag sein Amt als EZB-Präsident niedergelegt. Nachfolgerin wird Christine Lagarde. Draghis Amtszeit war durch eine Niedrigzinspolitik geprägt, mit welcher der Euro stabilisiert und das Wirtschaftswachstum angekurbelt werden sollte. Kommentatoren bewerten den Erfolg dieses Kurses unterschiedlich.
Kreativer Euro-Verteidiger
Draghi hat vor allem für die Rettung der europäischen Währung Bedeutendes geleistet, resümiert Kauppalehti:
„Draghi hat in seiner achtjährigen Amtszeit die Grenzen des Mandats ausgeweitet. Er wird als unnachgiebiger Verteidiger des Euro in Erinnerung bleiben. Seine legendären Worte 'whatever it takes' während der Eurokrise 2012 gingen in die Geschichte ein. … Draghi wurde dafür gelobt, das Instrumentarium der Zentralbank kreativ genutzt zu haben. … Man kann sagen, dass Draghi bei der Rettung des Euro erfolgreich war. Seine Unnachgiebigkeit und die Tatsache, dass Griechenland davor bewahrt wurde, aus der Eurozone zu rutschen, haben Vertrauen in die Gemeinschaftswährung geschaffen. Trotz seiner Errungenschaften hat er aber nicht das Ziel erreicht, die Inflation zu erhöhen, obwohl er so viel Geld wie nie zuvor in den Markt gepumpt hat.“
Beim wichtigsten Auftrag versagt
El Economista zieht eine kritische Bilanz von Draghis Amtszeit:
„Viele Wirtschaftswissenschaftler loben seine Rolle bei der Rettung Griechenlands. Er hat den Euro konkurrenzfähiger gemacht und es ermöglicht, neue Arbeitsplätze zu schaffen ... Allerdings hat er es nicht geschafft, den wichtigsten Auftrag der EZB zu erfüllen: die Inflationsrate auf ein Niveau knapp unter zwei Prozent zu erhöhen. Und zwar kein einziges Mal in seinem achtjährigen Mandat. ... Hinzu kommt, dass er einen Vorstand verlässt, der zerstrittener ist denn je. Mehr als einem Drittel der Mitglieder (darunter Frankreich) bereiten die Folgen der im September beschlossenen Anreizpolitik Sorgen. Sie haben sich gegen eine Umsetzung ausgesprochen. Lagarde muss die Spaltung jetzt überwinden und die Eurozone in die Normalität zurückführen.“
Nationale Interessen vergiften EZB-Vorstand
Welch schwieriges Erbe Draghi hinterlässt, skizziert NRC Handelsblad:
„Draghi nutzte die Tatsache, dass alle Euroländer faktisch eine gleichwertige Stimme haben, von Malta bis Deutschland. So konnte er während der sehr kontroversen Sitzung im September Länder, die gemeinsam die Mehrheit der Bevölkerung der Euro-Länder, ihrer Wirtschaftskraft und des bei der EZB eingelegten Euro-Kapitals stellen, an die Seite drängen. ... Mit ihm wurde nicht nur die Politik der EZB politischer, sondern auch die Bank selbst. Da er es versäumte, eine breite Basis für seine Politik zu schaffen, ließ Draghi das Gift der Nationalinteressen in den Vorstand tröpfeln. Seine Nachfolgerin muss viel reparieren.“
Nullzins-Gegner bleiben in der Minderheit
Warum die von Draghi verfochtene Nullzinspolitik auch unter seiner Nachfolgerin weitergehen wird, erklärt die Wiener Zeitung:
„Jens Weidmann, Chef der Deutschen Bundesbank, fordert zusammen mit einer Reihe von Kollegen in anderen Euro-Staaten dringend eine Wende; auch der neue österreichische Nationalbank-Gouverneur Robert Holzmann fordert eine Rückkehr zur Stabilitätspolitik. Sie haben sehr gute Argumente auf ihrer Seite: die laufende Enteignung der Sparer durch die Nullzinspolitik, die unzulässige Staatsfinanzierung vor allem der Staaten der südlichen Peripherie, letztlich das Aushebeln marktwirtschaftlicher Mechanismen insgesamt. Leider ist realistischerweise kaum damit zu rechnen, dass sich die Aufständischen von der Stabilitätsfraktion durchsetzen werden. Denn rein numerisch sind sie (noch?) in den entscheidenden Gremien der EZB in der Minderheit.“