Wie steht es um Russland nach 20 Jahren Putin?
Am Silvestertag des Jahres 1999 trat Russlands Präsident Boris Jelzin überraschend zurück. Der damals noch recht unbekannte, 47 Jahre alte Wladimir Putin übernahm die Amtsgeschäfte. Nach 20 Jahren an der Macht - abwechselnd als Präsident und Premier - ist Putin Gegenstand zahlreicher Bilanzen in den Medien.
Der Traum von alter Größe
Putins Bestreben liegt darin, die ehemaligen Sowjetrepubliken wieder an Russland zu binden, was man aktuell am Beispiel Belarus sieht, erklärt Ex-Botschafter Serhij Korsunskyj in Ukrajinska Prawda:
„Es entstand eine neue Kreml-Ideologie, ein als Eurasismus verkleideter Imperialismus. Die Ideologen und politischen Führer Russlands wollen so europäische Geschichte schreiben. ... Die Vereinigung mit Belarus bis 2024 wird nicht nur dem Kreml Trümpfe in die Hand geben und das Problem eines neuen Postens für Putin lösen [als Präsident eines mit Belarus vereinigten Russlands]. Sie ist auch ein Schritt, ganz im Einklang mit der imperialen Politik Russlands, die ohne Probleme zehn Millionen vorwiegend slawische Christen 'schlucken' und gleichzeitig eine gute Infrastruktur für Industrie und Landwirtschaft erhalten wird. Man muss nur noch Lukaschenko kleinkriegen. Aus Sicht des Kremls nichts Unrealistisches.“
Präsident schmückt sich mit der Vergangenheit
Wedomosti findet es bezeichnend, dass Putin gerne historische Themen - vor allem die Frage, wie es zum Zweiten Weltkrieg kam - in den Vordergrund stellt:
„Auch nach 20 Jahren an der Macht hat Putin keine andere ideologische Rechtfertigung für seine Politik gefunden. Anstatt der Gesellschaft irgendeine Zukunftsvision für Russland oder die Ergebnisse seiner Herrschaft zu präsentieren, zieht er es vor, sich um die Bewahrung der Ergebnisse und Errungenschaften eines vor 75 Jahren beendeten Kriegs zu konzentrieren. Eben weil die Ausnutzung der ruhmreichen Vergangenheit ergiebiger ist als die Konstruktion einer großartigen Zukunft: In 20 Jahren gab es so viele Versprechungen, dass es schon unanständig ist, daran zu erinnern: Mondbasen und Marsflüge, nicht realisierte Einkommensschübe für das Volk usw. Der Siegeskult erscheint dagegen als risikofreies Thema.“
Russlands Millennials fühlen sich betrogen
Junge Russen empfinden Putin vor allem als frustrierend, beschreibt Polityka:
„Für junge Menschen, die sich oft an keinen anderen Präsidenten mehr erinnern, ist Putin ein Symbol des Scheiterns und ein Mann, der mehreren Generationen die Zukunft gestohlen hat. Ein Präsident, der nicht der Zeit folgt, nicht in den sozialen Medien oder in öffentlichen Debatten anwesend ist. ... Junge Menschen wissen, dass Putin sie einschränkt, ihre Entwicklung gegenüber den westlichen Altersgenossen verzögert, nicht in Technologie investiert und sich stattdessen auf die mythische Staatsmacht fokussiert. Anders als ihre Eltern und Großeltern sind sich die russischen Millennials bewusst, dass sie Bürger eines der reichsten Länder Europas sind, das sein Potenzial nicht nutzt.“
Nicht Europas gefährlichster Gegner
Der russische Präsident glaubt sich mächtiger, als er in Wirklichkeit ist, urteilt Ouest-France:
„So geschickt Putin auch sein mag, er ist nicht in der Lage, das einzuheimsen, was einer Revanche der Geschichte gleichkommen könnte. Und das aus einem ganz einfachen Grund: Russland hat schöne Militärreste, aber es ist ein alterndes Land, das sich gegen Wirtschaftsreformen sträubt. Sein BIP ist kaum höher als das Spaniens. Wenn erneut eine Art Kalter Krieg aufkommen sollte, dann mit China, nicht mit Moskau. ... In der heutigen Welt - und nicht in der Welt Putins - bleibt Russland eine bedrohliche Macht, die das westliche Lager und besonders die Europäer spalten will. Aber es ist nicht mehr der Protagonist Nummer Eins, wie der Schatten, den das sowjetische Schreckgespenst wirft, noch glauben machen könnte. Russland ist ein Akteur unter vielen.“