Was bedeutet die Pipeline Turkstream für Europa?
Die Präsidenten der Türkei und Russlands, Erdoğan und Putin, haben am Mittwoch die Gaspipeline Turkstream offiziell eröffnet. Die 930 Kilometer lange Röhre verläuft durch das Schwarze Meer und soll nicht nur die Türkei, sondern auch Südosteuropa mit russischem Erdgas versorgen. Kommentatoren diskutieren, warum Moskau und Ankara feiern können.
EU-Einfluss auf dem Balkan schwindet
Dass Russland und die Türkei mit Turkstream in der Balkan-Reagion punkten können, hat sich die EU auch selbst zuzuschreiben, konstatiert der Südosteuropa-Korrespondent der Frankfurter Allgemeine Zeitung, Michael Martens:
„Moskau und Ankara [gewinnen] damit Zugriff auf einen Teil der Energiesicherheit in der fragilen Kleinstaatenwelt Südosteuropas. Das ist keine beruhigende Aussicht für die EU. Deren Einfluss sinkt auch deshalb, weil die Perspektive einer EU-Mitgliedschaft seit Macrons Veto gegen Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien im vergangenen Jahr nicht mehr glaubhaft ist. Wenn die EU, Berlin und Paris nicht eine aktivere Rolle spielen, werden sie in Südosteuropa weiter ins Hintertreffen geraten.“
Russischer Ruhepol im globalen Chaos
Die staatliche Nachrichtenagentur Ria Nowosti singt angesichts der Pipeline-Eröffnung inmitten eines Kriegsszenarios ein Loblied auf Russlands friedensstiftende Rolle:
„Russland gibt ein Musterbeispiel für planmäßige Arbeit, die keine äußeren Stürme erschüttern können. Sein Einfluss ist groß genug, dass ihm gegenüber sogar Länder, die sonst zu harschen Worten und Schritten neigen, eine weitaus ruhigere und abgewogene Position einnehmen. Gemeint ist unter anderem die Türkei, die sich zwar immer wieder einmal wegen Differenzen mit Russland beleidigt zeigt (so zuletzt wegen Libyen), aber alles in allem im Rahmen einer gefestigten Zusammenarbeit agiert. Russland ist zu einem neuen Zentrum geworden - bereit, die Welt vom Abrutschen ins Chaos abzuhalten und ein neues globales System zu errichten. Moskau bietet dabei allen einfache Regeln an: konstruktive Zusammenarbeit auf Basis von Pragmatismus und gegenseitigem Nutzen.“
Frieden durch Handel
Die neue Pipeline kann das Konfliktrisiko zwischen zwei "Großen" reduzieren, glaubt die regierungstreue Daily Sabah:
„Der größte wirtschaftliche Beitrag von Turkstream und ähnlichen Projekten ist die Schaffung weiterer wirtschaftlicher Beziehungen zwischen der Türkei und Russland. Nehmen die wirtschaftlichen Abhängigkeiten zwischen den Ländern zu, werden ihre Konflikte abnehmen. Beide Länder drohen zu verlieren, wenn sich die Politiker nicht einig sind und die Beziehungen einfrieren. ... Das führt dazu, dass Wirtschaftsführer Lobbyarbeit gegen die jeweiligen Regierungen betreiben, um Konflikte zu vermeiden. Dies sind nicht nur gute Nachrichten für die Türkei und Russland, sondern auch für das Nato-Bündnis.“