Zögert die EU bei Nordmazedonien zu Recht?
Dass die EU die Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien erneut blockiert hat, sorgt weiter für Diskussionen. Neben Frankreich hatten sich auch Dänemark und die Niederlande gegen diesen Schritt ausgesprochen. Aus der Region werden Stimmen laut, die Verständnis für Macrons Zögern haben.
Wir gehören noch nicht in die EU
Die EU traut Nordmazedonien mit guten Gründen nicht über den Weg, meint das Onlineportal Vecer:
„Die EU kann es sich nicht leisten, ein solch bösartiges Gewebe in ihren Organismus aufzunehmen, das weder dazu in der Lage ist, Reformen durchzuführen noch Auswege aus der tiefen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krise zu finden, in der sich die Republik Mazedonien [sic!] befindet. ... Es geht nicht darum, ob wir unseren Namen ändern und einen bilateralen Vertrag schließen können. Es geht darum, ob wir institutionell in der Lage sind, reale Reformen durchzuführen, uns aus der osmanischen Untertanenmentalität zu befreien, wo der Kadi schaltet und waltet, wie es ihm gefällt, die Gesetze das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen und Korruption und Verbrechen das Hauptmerkmal der Regierung sind.“
Man muss Macron verstehen
Verständnis für Macrons Bedenken gegenüber einer weiteren EU-Osterweiterung zeigt auch Club Z:
„Ob Macron nicht doch Recht hat mit seinen Überlegungen? Und ob Bulgarien nicht einer der Gründe dafür ist? … Allein die Tatsache, dass Bulgarien und Rumänien immer noch unter dem Kontrollmechanismus der EU-Kommission stehen, spricht für sich. Die Justiz in diesen Ländern muss weiter beobachtet werden. Rumänien steht womöglich sogar ein Strafverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags bevor. ... Probleme gibt es aber nicht nur bei den neueren und künftigen Beitrittsländern. Polen und Ungarn sind wegen ihrer nationalen Gesetze ständig im Streit mit der EU. Dabei haben sie noch vor dem Mauerfall als erste mit den Reformen begonnen.“
Athen schaut schmutzigem Spiel ungerührt zu
Die linke Tageszeitung Avgi befürchtet, dass das unter großer Anstrengung ausgehandelte Namensabkommen zwischen Griechenland und Nordmazedonien wieder platzen könnte:
„Eine mögliche Stärkung der VMRO-Nationalisten würde eine Rückkehr zu den 'guten alten Zeiten' bedeuten, als das Nachbarland versuchte, international als 'Mazedonien' aufzutreten, und unser Land versuchte, dies zu verhindern. Die Tatsache, dass die EU ihre Verpflichtungen nicht einhält, bringt das erga omnes [Verwendung des neuen Namens im internationalen und im internen Gebrauch] in Gefahr und bringt uns in den irrationalen Zustand der vergangenen dreißig Jahre zurück. Es ist unfassbar, dass Athen diesem schmutzigen Spiel, das in Brüssel gespielt wurde, teilnahmslos zugeschaut hat.“
Auf dem Balkan drohen wieder ethnische Konflikte
Die Neue Zürcher Zeitung sieht die Gefahr einer neuerlichen Destabilisierung der Region:
„Verschwindet die Aussicht auf den Beitritt, kommt die ethnisch-nationale 'Integration' in Südosteuropa wieder aufs Tapet. Zum Beispiel in Gestalt einer Vereinigung von Albanien und Kosovo: Mit Albin Kurti als Regierungschef Kosovos hätte Tirana schon heute einen Partner, der sich die Vereinigung als Fernziel gesetzt hat. Ähnlich die Serben in Bosnien-Herzegowina: Milorad Dodik, der Präsident des serbisch dominierten Landesteils, spricht seit Jahren vom Anschluss an Serbien. Dass Präsident Vučić sich darauf nicht einlässt, liegt daran, dass es Beitrittsverhandlungen mit der EU führt und Brüssel nicht beunruhigen will. Das könnte sich schnell ändern, wenn er zum Schluss kommt, dass die Verhandlungen nirgendwohin führen.“
Falscher Zeitpunkt für Diskussion
Journalist Cristian Unteanu fürchtet auf seinem Blog bei Adevărul schwerwiegende Folgen der Entscheidung:
„War jetzt der richtige Zeitpunkt, um zu diskutieren, ob und unter welchen Bedingungen die nächsten Erweiterungswellen ablaufen sollen? Vielmehr war es wohl der beste Moment, um Zweifel und Unzufriedenheit zu säen, nachdem den Ländern des Westbalkans seit Jahren nacheinander Versprechungen gemacht wurden. … Die Forderung Macrons, dass der Beitrittsprozess 'umkehrbar' sein müsse, heißt, dass jedes Kapitel noch einmal geöffnet werden kann, wenn sich die Situation verändert. Eine Perspektive, die schon an sich bedeutet, dass der technische Prozess jederzeit zu einer permanenten Konfrontation zwischen den Ländern und ihren Interessen werden kann.“
Um die Erweiterung geht es gar nicht
Die Blockade enthüllt die eigentlichen Probleme der EU, analysiert Dnevnik:
„Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat eigentlich nur den Schleier ein wenig gelüftet, der die dicke Warze auf dem Gesicht der großen europäischen Familie versteckt. … Das Problem liegt nicht in einer fehlenden Erweiterungsstrategie, mit der Macron seine Sturheit rechtfertigt. Dieser Prozess steht sowieso kurz vor dem Ende, denn nach Nord-Mazedonien, Albanien, Montenegro und Serbien kann sich die EU nicht mehr erweitern. Das Problem ist die interne Spaltung, das Fehlen von Visionen in der Zusammenarbeit, das Vermeiden von Herausforderungen, die fehlende Suche nach gemeinsamen Projekten und der Versuch, die Mitglieder in eine erste und eine zweite Klasse aufzuteilen. Das Problem ist die wachsende Europa-Skepsis, die auch auf das Missachten der eigenen Prinzipien zurückzuführen ist.“
Ein Mosaik deutsch-französischer Differenzen
Wachsende Unstimmigkeiten zwischen Macron und Merkel sieht Lidové noviny offenbart:
„Hier geht es um gemeinsame europäische Politik und die Motorfunktion Deutschlands und Frankreichs. Dieser Motor stottert immer häufiger. Stück für Stück offenbart sich ein Mosaik der unterschiedlichen Haltungen Deutschlands und Frankreichs. Die Ablehnung des Beginns der Aufnahmegespräche mit Nord-Mazedonien und Albanien setzte Paris gegen die konträre Position Deutschlands durch.“
Westbalkan nicht der Hinterhof Europas
Frankreichs Präsident sollte seine ablehnende Haltung überdenken, findet Le Soir:
„Paris fordert eine Reform des Erweiterungsprozesses, bevor es zu den beiden Kandidaten 'Ja' sagt. Die Debatte ist nicht neu. Und ist durchaus begründet. Das Timing aber ist suspekt. Denn dahinter steckt womöglich die Anwandlung, der öffentlichen Meinung nach dem Mund zu reden, zumal diese Völker skeptisch beäugt werden, obwohl sie klar pro-europäisch sind. Wie lange währt die Zuwendung zu Europa? Das Thema wird auf dem EU-Gipfel diskutiert werden. Der europäische Anführer, der Präsident Macron sein möchte, kann sich noch korrigieren. Ist neuer Aufruhr auf dem Balkan nötig, um in Erinnerung zu rufen, dass diese Länder nicht der Hinterhof Europas, sondern ein Zimmer im gemeinsamen Haus sind?“
Regierung in Skopje steht mies da
Nach der Blockade warten auf die führenden Politiker beider Länder schwere Stunden, kommentiert Večer:
„Das gilt vor allem für den mazedonischen Regierungschef Zoran Zaev, der mit dem Abkommen mit Griechenland zur Namensänderung trotz der Skepsis der Bürger sein gesamtes politisches Kapital darauf gesetzt hat, dass Nord-Mazedonien noch dieses Jahr das langersehnte Datum für den Beginn der Beitrittsverhandlungen erfährt. … Mit der Entscheidung Frankreichs hat die EU bei den Bürgern beider Länder zusätzlich an ihrer ohnehin schon angegriffenen Glaubwürdigkeit verloren. Insbesondere in Nord-Mazedonien, wo die Bürger nicht nur vom Handeln der EU enttäuscht sind, sondern auch vom Handeln der Regierung Zaev.“