Rätselraten um Kim Jong-un
Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un ist seit mehr als zwei Wochen nicht mehr öffentlich aufgetreten. Besonders auffällig war sein Fehlen bei den Feierlichkeiten zum wichtigsten nationalen Feiertag am 15. April. Nun machen Gerüchte die Runde, Kim sei schwer krank, verletzt oder gar gestorben und man wolle seinen Tod verschleiern, um Machtkämpfe zu verhindern. Ist etwas faul im Staate Nordkorea?
Verfrühte Spekulationen
Der Koreanist Konstantin Asmolow hält die Gerüchte für vorerst irrelevant, wie er in Iswestija schreibt:
„Möglicherweise ist Kim wirklich krank. Wie sein Vater und Großvater hat er Hormondrüsenprobleme und vermutlich Diabetes, die seine Fülle erklären könnte. Bekanntlich ist er starker Raucher. Aber das heißt nicht, dass jedes seiner 'Verschwinden' gleich bedeutet, dass er auf der Intensivstation liegt. ... Ich sehe keinen Sinn darin, jetzt herumzuspekulieren, wer neues Oberhaupt Nordkoreas werden könnte. Vorerst ist das eine zutiefst theoretische Frage. ... Solange es keine Bestätigung für die Sensationsnachricht über Kim im Koma gibt, sollte man sie als eine weitere Zeitungsente betrachten.“
Unklarheit ist Grund zur Besorgnis
Dass niemand zu wissen scheint, was in Nordkorea vorgeht, beunruhigt The Irish Times:
„Die wilden Spekulation zeigen, wie gut es dem nordkoreanischen Regime gelingt, seine Aktivitäten geheim zu halten, und wie schwer es Regierungen anderer Länder fällt, die Vorgänge in dem hermetisch abgeriegelten Staat zu beobachten. Der Rest der Welt scheint nicht wirklich zu wissen, warum Kim abgetaucht ist. Doch noch viel weniger ist über etwaige Pläne für dessen Nachfolge bekannt. Angesichts des nordkoreanischen Atomprogramms und der feindlichen Haltung des Landes gegenüber seinen Nachbarn sind Kims Schicksal und die Identität eines möglichen Nachfolgers Fragen, die für die regionale und globale Sicherheit von entscheidender Bedeutung sind.“
Veränderung ist nicht zu erwarten
Selbst wenn Kim nicht mehr im Stande sein sollte, die Regierungsgeschäfte weiterzuführen, wird sich in Nordkorea nicht viel verändern, analysiert Tportal.hr:
„Dass Kim Jong-un nicht an der Zeremonie zum wichtigsten nordkoreanischen Feiertag erschienen ist, dem Tag der Sonne am 15. April, dem Geburtstag seines Großvaters und Staatsgründers Kim Il-sung, weckt den Verdacht, dass etwas ernsthaft nicht stimmt. ... Das Regime in Nordkorea hat kaum Spielraum, die Disziplin etwas zu lockern, ohne sein Überleben zu gefährden. Man kann erwarten, dass die gleiche Politik fortgeführt wird, ob mit Kim Jong-un oder ohne ihn.“
Ostasien droht eine Sicherheitskrise
Eine Destabilisierung der nordkoreanischen Machtverhältnisse wäre in der aktuellen Krisenzeit besonders gefährlich, meint hingegen der Sicherheitsexperte Attila Kasznár in der regierungsnahen Tageszeitung Magyar Hírlap:
„Falls Kim Jong-un die Macht abgibt, würde das zu einer Lücke führen, die nicht nur in Nordkorea, sondern im ganzen ostasiatischen Raum eine Sicherheitskrise heraufbeschwören kann. Diese könnte sogar weltweite Probleme verursachen. ... Im jetzigen, von der Corona-Pandemie schwer gezeichneten globalen System ist ein solches Szenario, wie es sich aus einem ungeplanten Wechsel der politischen Führung in der letzten totalitären Diktatur der Welt ergeben kann, alles andere als wünschenswert.“