Fallstricke der Pandemiebekämpfung
Europas Regierungen sind alarmiert angesichts dramatisch steigender Corona-Infektionszahlen. In einigen Ländern wie Irland oder Tschechien wurden wieder Geschäfte geschlossen, in Spanien gilt seit Montag eine Ausgangssperre, Italien versucht, der Lage unter anderem mit der Schließung von Restaurants ab 18 Uhr Herr zu werden. Doch diese Maßnahmen ernten immer mehr Widerspruch aus der Presse.
Schluss mit Ohrfeigen und Süßigkeiten
Maßnahmen müssen den Bürgern auf respektvolle und verständliche Weise präsentiert werden - was in Slowenien nicht der Fall ist, empört sich Primorske novice:
„Die Regierung verabschiedet von heute auf morgen Verordnungen mit immer neuen Beschränkungen, von Ausgangssperren bis zum Verbot des Überschreitens von Gemeindegrenzen. Dabei sind die Erklärungen so verwirrend, dass selbst diejenigen, die sie kommunizieren sollen, sie nicht verstehen. ... Eine Regierung, die ihre eigenen Bürger wie hilflose Kinder behandelt, an die abwechselnd Süßigkeiten und Ohrfeigen verteilt werden, zeigt wenig Respekt vor ihnen. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass ihr trotz deutlich mehr Infektionen als im Frühjahr viele Menschen nicht vertrauen und sich offen oder verdeckt den Regeln widersetzen.“
Wir brauchen mehr Kultur, nicht weniger
In Italien müssen seit Montag Kinos, Theater und Konzerthallen erneut schließen. Die Kulturschaffenden wehren sich gegen diese Maßnahmen. Soziologin Chiara Saraceno gibt ihnen in La Repubblica recht:
„Gerade weil wir den Ernst der Pandemie verstehen, auch in ihren möglichen Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt, der sich in diesen Tagen an der Belastungsgrenze befindet, brauchen wir mehr Kultur. Mehr Gelegenheiten, nicht nur, um sich zu entspannen, um sich abzulenken, sondern auch um darüber nachzudenken, wie sehr die Pandemie das Leben aller erschüttert, wie viele und welche Ungleichheiten das Virus vertieft oder schafft, welche neuen Denk- und Handlungsweisen wir gemeinsam finden müssen, um uns nicht in Angst zu verlieren und gemeinsam wachsame und verantwortungsbewusste Menschen zu bleiben.“
Koste es, was es wolle
Das Nachverfolgen der Infektionsketten muss gerade unter schwierigen Bedingungen höchste Priorität genießen, fordert Der Standard:
„Liebe Contact-Tracerinnen und -Tracer, gebt nicht auf! Eure Tätigkeit ist die Grundlage dafür, dass die Pandemie nicht außer Kontrolle gerät und das Gesundheitssystem lahmlegt. Nur die Verfolgung der Kontakte von Personen, die als infektiös und möglicherweise infektiös eingestuft werden, und die damit verbundene Warnung von Kontaktpersonen können momentan das Virus stoppen. ... Zum Nichtaufgeben gehört auch um Hilfe schreien, wenn der Aufwand nicht mehr zu bewältigen ist. Das haben in den vergangenen Tagen Contact-Tracer bereits in mehreren Bundesländern getan. ... Das berühmte 'Koste es, was es wolle' muss auch für die personelle Ausstattung des Contact-Tracings gelten.“
Ungarn darf nicht weiter zögern
Népszava fordert striktere Maßnahmen auch für Ungarn:
„Das Kabinett weist immer wieder auf die Nationale Konsultation [eine landesweite Umfrage der Regierung] hin, wonach eine Mehrheit das normale Leben im Land aufrecht erhalten will. Dennoch gibt es Zeiten, in denen die Regierung sich gegen die Volksmeinung stellen muss. ... Bei einer sich so schnell ausbreitenden Pandemie kann man es nicht schaffen, die Wirtschaft und das Gesundheitswesen gleichzeitig am Leben zu erhalten. Das Leben kann auch nach der Entwicklung eines Impfstoffs nie mehr genauso werden, wie es war. Umso weniger, wenn die Regierung aus der Pandemiebekämpfung eine politische Frage macht. ... Es muss auch in Ungarn klar gesagt werden: Man braucht wieder eine Ausgangsbeschränkung, feste Einkaufszeiten, die Schließung der Schulen und viel mehr Tests.“