Amy Coney Barrett: Last-Minute-Triumph für Trump?
Die konservative Juristin Amy Coney Barrett hat den Eid für den Obersten Gerichtshof der USA abgelegt. Zuvor hatte der mehrheitlich republikanische Senat die Kandidatin Trumps bestätigt. Bei der Vereidigung versicherte Barrett erneut, als Richterin unabhängig von ihren politischen Vorlieben zu arbeiten. Kommentatoren sehen die Weichen hingegen als gestellt an.
Sein eigentliches Vermächtnis
Auch wenn die politische Bilanz der Präsidentschaft Donald Trumps mäßig ausfällt, hat er das Land mit der neuen Zusammensetzung des Supreme Court auf Jahrzehnte geprägt, meint The Daily Telegraph:
„Selbst wenn die Republikaner nächste Woche alles verlieren, wird Donald Trump zumindest dieses eine bedeutende Erbe in der innenpolitischen Arena hinterlassen können: Was auch immer Joe Biden in seiner Amtszeit versuchen wird, er kann dabei stark ausgebremst werden. In der Außenpolitik punktet der Präsident weiterhin - ein Staat der Arabischen Liga nach dem anderen erkennt Israel an -, aber sein zuvor größter innerstaatlicher Erfolg, die gute Wirtschaftslage, wurde von Covid-19 zunichte gemacht. Barretts Vereidigung bedeutet, dass Trump für eine ganze Generation eine unauslöschliche Spur hinterlässt. Eine ständige Erinnerung daran, dass er da war.“
Die Neue kann den USA ihren Stempel aufdrücken
Der Supreme Court ist nun keine Institution mehr, die etwas gegen die voranschreitende Polarisierung der USA unternehmen könnte, klagt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Coney Barrett hat nun viel Zeit, um Geschichte zu schreiben … Durch sukzessive Einschränkung des Abtreibungsrechts etwa könnte sie der Nation ihren Stempel aufdrücken. Sie würde damit kein Idol der Mehrheit, aber doch vieler Amerikaner. Das darf bei aller Empörung über die mutwillige Spaltungspolitik von Trump und dessen Wegbereitern nicht untergehen: Die ideologischen Gegensätze in der amerikanischen Gesellschaft sind nicht eingebildet. Sie sind auch nicht per se ein Makel. Aber sie verlangen nach Institutionen, die Kompromisse finden oder wenigstens eine respektvolle Koexistenz organisieren. Davon ist wenig übrig.“
Unanständige, brutale Machtpolitik
Der Standard wertet die Bestätigung Amy Coney Barretts als mehrfachen Schlag gegen die Demokratie und den Rechtsstaat:
„Zum einen haben die Republikaner diesen Erfolg mit unlauteren Mitteln erzielt. 2016 verweigerten sie Barack Obama acht Monate vor der Präsidentenwahl die Richterernennung, die ihm zustand. Und nun drücken sie wenige Tage vor dem Urnengang ihre Kandidatin durch. Das ist brutale Machtpolitik auf Kosten jedes politischen Anstands. Zum anderen verliert das wichtigste Gericht des Landes die demokratische Legitimation und droht, in den kommenden Jahren nur noch die Interessen einer schrumpfenden Minderheit zu vertreten. Denn Amerika rückt allein aus demografischen Gründen nach links, was wohl auch erklärt, warum die Republikaner so fanatisch um diese Bastion kämpfen.“
Demokraten müssen Panikreaktion vermeiden
Dass der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden nun laut über eine Erweiterung des Obersten Gerichts nachdenkt, findet Berlingske unüberlegt:
„Biden mischt sich in etwas ein, von dem er sich insbesondere so kurz vor der Wahl fernhalten sollte. Selbst wenn die Richter am Obersten Gericht, wie alle anderen Menschen, ihre eigenen Haltungen haben, so gibt es keinen Grund, einen anrüchigen Schatten über die Institution zu werfen. Es gibt eine Menge Beispiele dafür, dass die Richter aus juristischen Gründen anders gestimmt haben, als man es erwartet hätte. Zuletzt in Trumps Steuerangelegenheiten, als zwei der von ihm ernannten Richter gegen ihn gestimmt haben. ... Bidens Vorschlag ist panisch und übereilt. ... Damit wird nur eine weitere Flanke im endlosen Krieg der Flügel in den USA eröffnet. “