Noch eine Extra-Meile im Brexit-Marathon
Der britische Premier Johnson und EU-Kommissionschefin von der Leyen wollen noch immer nicht aufgeben: Die Gespräche über einen Brexit mit Handelsabkommen werden noch einmal verlängert. Darauf einigten sich beide Seiten in einem Telefonat. Kommentatoren in Europa diskutieren derweil: Was soll dieses Gezerre noch bringen?
No Deal ist schon eingepreist
Weitere Verhandlungen sind aus wirtschaftlicher Sicht nutzlos, ist The Spectator überzeugt:
„Weil der derzeitige Wert des britischen Pfunds bereits die allgemeine Erwartung eines No-Deal-Brexits widerspiegelt und die meisten Unternehmen sich schon gezwungen sahen, entsprechende Vorbereitungen zu treffen, bietet der Abschluss eines Freihandelsabkommen ohnehin kaum noch Vorteile. ... Natürlich wird es die britische Wirtschaft treffen, wenn es keine Einigung mit der EU gibt. Doch in diesem fortgeschrittenen Stadium wird sie relativ glimpflich davonkommen. Die Folgen sind bereits eingepreist. Die Fortsetzung der Gespräche mag einige politische Vorteile haben, aber die wirtschaftlichen Vorteile sind bereits verpufft. Es wäre besser, mit dem Aufbau einer Volkswirtschaft außerhalb der EU fortzufahren, als die Diskussionen auf unbestimmte Zeit in die Länge zu ziehen.“
Auf die Nachspielzeit hoffen
Noch ist diese Partie nicht abgepfiffen, ist hingegen La Vanguardia noch immer frohen Mutes:
„In der Geschichte der EU sind nicht nur die Entscheidungen in letzter Minute häufig, sondern auch die in der Nachspielzeit. Viele fürchten, dass die 18 verbleibenden Tage bis Jahresende nicht ausreichen, um eine Entscheidung - welche auch immer - auch noch von den nationalen Parlamenten bestätigen zu lassen. Aber sollte schließlich weißer Rauch aufsteigen, wäre das Wunder, einen harten Post-Brexit zu vermeiden, noch immer möglich.“
Brüssel darf nicht noch mehr Federn lassen
Warum die EU nicht weiter auf London zugehen kann, erklärt News.bg:
„Brüssel hat bereits Londons Wunsch nach einer 'weichen' irischen Grenze erfüllt. Weitere Zugeständnisse würden also als Schwäche aufgefasst. ... Die Unfähigkeit, ein (zufriedenstellendes) Wirtschaftsabkommen mit der fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt abzuschließen, macht überhaupt keinen guten Eindruck. ... Ein Abkommen, das durch Zugeständnisse in allen wichtigen Fragen erzielt wird, dürfte Brüssel aber ebenso wenig gefallen. Dies wäre ein Signal für jeden Mitgliedstaat, der beschließen würde, die Europäische Union zu verlassen, dass er damit durchkäme.“
Hals über Kopf ins Chaos
Das Feilschen bis zur letzten Minute zeigt, wie unüberlegt der Brexit von Beginn an war, klagt NRC Handelsblad:
„Der gesamte Verlauf unterstreicht, dass der Brexit ein unkluges Projekt ist. ... Die lange Dauer und die Unbeständigkeit der Verhandlungen zeigen aber auch, wie unüberlegt und unkontrolliert das Abenteuer von Anfang an war, wie instabil die politische und gesellschaftliche Basis, und wie überrascht London immer wieder über die Konsequenzen ist. Das ist und bleibt, auch gegenüber den Bürgern, unverzeihlich.“