Draghis Programm: Auf in eine neue Ära?
Italiens neuer Premier hat am Mittwoch sein Regierungsprogramm vorgelegt. Draghi kündigte an, er werde die Krise "mit allen Mitteln" bekämpfen. Darüber hinaus konzentrierte er sich in seiner ersten großen Rede an das Parlament auf langfristige Reformpläne für Wirtschaft und Verwaltung. Das findet in den Kommentarspalten mehrheitlich positiven Widerhall.
Populismus hat ausgedient
Wir erleben den Abschied von einer unglückseligen Ära, freut sich Chefredakteur Luciano Fontana in Corriere della Sera:
„Seit der Wahl 2018 sind nur drei Jahre vergangen, aber die Politik und die Slogans von damals scheinen einer fernen Vergangenheit anzugehören. Es waren die Zeiten der Anti-Euro-Proteste, des Liebäugelns mit dem Austritt Italiens aus der EU, des Kleinkriegs gegen Frankreich und Deutschland, der Träume vom glücklichen Degrowth und der Leugnung der globalen Erwärmung. Einfache und illusorische Antworten auf komplexe Probleme, die nicht mit souveränistischen Rezepten auf Italienisch gelöst werden konnten. … Die von Premier Draghi im Senat ausgesprochenen Worte bescheinigen den Abschied von einer Ära, die die Pandemie mit ihrer dramatischen Notlage bereits als unzulänglich ausgewiesen hatte.“
Endlich eine Vision
Dass der Anführer einer aus der Not geborenen Regierung vor allem von der Zukunft sprach, findet Avvenire genau richtig:
„Mario Draghi hat gestern nicht von Milliarden Euro gesprochen. Denn die eigentlichen Schulden sind nicht monetär, sondern gegenüber den folgenden Generationen zu begleichen. ... Ein Darlehen, das zugleich sozial, ökologisch und menschlich ist. Es mag paradox erscheinen, dass eine Notstandsregierung sich um die Zukunft sorgt statt um die drängende Gegenwart. Liest man jedoch zwischen den Zeilen, so ist die wirkliche Dringlichkeit gerade die, sofortiges Handeln mit langfristigen Reformen zu verbinden und - jetzt - für die nächsten Jahrzehnte zu planen.“
Pluralismus wird rehabilitiert
Der Ex-EZB-Chef könnte neben der Wirtschaft auch der Demokratie aus der Krise helfen, erwägt L'Opinion:
„Das Neue ist nicht die Unfähigkeit der Populisten, zu regieren. ... Das Neue ist vielmehr die Akzeptanz, dass ein brillanter Vertreter der globalisierten Macht gemeinsam mit ihnen regieren darf. … Draghi ist politischer, als man glaubt, und könnte mit Hilfe der 200 Milliarden Euro der EU eine Lösung für die Demokratiekrise skizzieren, indem er den Pluralismus rehabilitiert. Gegen die Technokratie, für die es zu oft keine Alternative gibt. Und gegen die populistischen Parteien, die ihre Gegner schnell als Feinde des Volks bezeichnen und so bisweilen gefährlich polarisieren. Deshalb hat ganz Europa Interesse daran, dass Draghi seine Verwandlung vom Verräter zum Retter gelingt.“
Kleingeistig und ambitionslos
Dass in Draghi so große Hoffnungen gesetzt werden, ist für The Guardian hingegen überhaupt kein gutes Zeichen:
„Diese explizite Abnahme von politischem Ehrgeiz ist implizit auf dem ganzen Kontinent sichtbar. Die Kleingeistigkeit und Armut der italienischen Politik führt uns den Zerfall der Nationalpolitik in ganz Europa vor Augen. Keiner der europäischen Nationalstaaten hat für sich genommen die Fähigkeit, echte transformative Politik zu machen: multinationale Unternehmen zu zügeln, die Wirtschaft zu dekarbonisieren oder den exorbitanten Reichtum einiger Weniger anzuzapfen, der durch den Pandemie-Milliardärsboom noch skandalöser geworden ist.“