"Grünes Zertifikat": Rettung für Europas Sommer?
EU-Kommissionschefin von der Leyen hat am Mittwoch das lang erwartete Konzept zum „Grünen Zertifikat“ vorgestellt, das ab 1. Juni als Nachweis von Impfungen, Tests oder einer überstandenen Covid-Erkrankung dienen und damit auch Reisen wieder ermöglichen soll. Die Mitgliedstaaten können selbst entscheiden, welche Vorteile die Inhaber bekommen. Europas Presse betrachtet die Pläne mit Skepsis.
Hoffnung für Urlaubsregionen
Das "Grüne Zertifikat" stellt für die Länder mit wichtigen Reisedestinationen die einzige Chance dar, erklärt El Periódico de Catalunya:
„Für Volkswirtschaften wie die spanische wäre ein weiteres Nulljahr in der Tourismusbranche vernichtend. Und man kann die Branche nicht wiederbeleben, ohne dass sich sowohl die Bürger aus den Ländern der Reisenden als auch in den Urlaubsländern mit Recht sicher fühlen. Dasselbe gilt für große internationale Zusammenkünfte wie den Mobile World Congress, die den Geschäftstourismus beflügeln, der so wichtig für Barcelonas Gastronomen, Hoteliers und Finanzen ist.“
Nicht mehr als eine Notlösung
Dagens Nyheter steht den Plänen der Kommission verhalten gegenüber:
„Der Effekt des Zertifikats ist zu Beginn eines Impfprojekts logischerweise am größten, obwohl weniger Menschen davon profitieren. Je früher ein Land erfolgreich geimpft werden kann, desto weniger wird der Reisepass benötigt. Wenn Arbeitgeber und Restaurantbesitzer anfangen, Unterlagen zu verlangen, stellen sich neue praktische und moralische Fragen. Wenn es der Kommission gelingt, rekordverdächtig schnell entsprechende Gesetze durchzusetzen, könnte das Zertifikat als Notfalllösung für Reisen innerhalb der EU dienen. Aber der Impfstoff selbst ist als Waffe schärfer als der Pass.“
Es wird nie wieder wie vorher
Die Diskriminierung von Ungeimpften wird sich kaum vermeiden lassen, fürchtet Večernji list:
„An der Schwelle zu den digitalen Covid-Pässen ist klar, dass einmal verlorene Bürgerrechte und Freiheiten nur schwer in der Form zurückkehren werden, wie sie vorher galten. Genauso, wie sie nach dem 11. September nie zurückgekehrt sind. ... Man muss wirklich naiv sein, um den Meldungen aus der Europäischen Kommission zu glauben, dass Covid-Impfpässe keine Bedingung für Reisen werden. Formell vielleicht, am Anfang noch nicht, aber sind sie einmal eingeführt, werden sie ganz sicher das Fundament für eine Aufteilung der Bürger erster und zweiter Klasse legen. Diejenigen, die keine Impf-Bestätigung haben werden, egal ob sie vielleicht einer Risikogruppe angehören, können erwarten, dass ihre Probleme noch viel länger andauern werden.“
Berlin wird schon auf Gleichberechtigung achten
Lidové noviny fragt sich, ob der europäische Impfpass den "Schengen-Pass" und damit das ungehinderte Reisen ersetzen wird:
„Der Sommer könnte schwierig werden. Ans Meer werden die können, die eine Impfung ergattert haben. Nichtgeimpfte werden von Tests und lauernden Fragen abhängig sein. Etwa danach, wie lange solche Tests gültig sind. Bleiben diese Menschen damit vollwertige Europäer? ... In dieser Unsicherheit gibt es aber ein Fünkchen Hoffnung. Beim Impffortschritt sind die Deutschen nicht weiter als wir. Man kann darauf wetten, dass sie in der EU durchsetzen werden, dass die Nichtgeimpften nicht als Europäer zweiter Kategorie angesehen werden.“
Sicherheit wichtiger als Tourismus
Dieser Sommer wird noch einmal eine schwere Prüfung für uns alle, meint Primorske novice:
„Bei der Idee und der Einführung eines europäischen Impfpasses sollte es nicht nur darum gehen, auf dem Weg nach Istrien oder Dalmatien so wenig Zeit wie möglich zu warten, sondern vor allem darum, zu verhindern, dass sich das Virus übermäßig auf dem Kontinent ausbreitet. In diesem Sinn ist das Engagement der EU-Kommission zu begrüßen. Es ist auch zu hoffen, dass die Warnungen vor einer möglichen Diskriminierung durch diese Lösung laut genug waren und dass sie berücksichtigt werden. Aber am Ende müssen wir wissen: Kein Impfpass aus Brüssel kann uns so sehr helfen, wie wir uns zu Hause selbst schaden können.“