Unmut über Europas Corona-Regelchaos
Die wenigsten Regierungen Europas wollen ihren Bürgerinnen und Bürgern noch mehr Lockdowns und Schutzmaßnahmen zumuten, sehen sich angesichts steigender Infektionszahlen aber außer Stande, darauf zu verzichten. Um so wichtiger wäre es, die geltenden Regelungen nachvollziehbar und logisch zu gestalten - woran es laut Kommentatoren aber gewaltig hapert.
Allenthalben Widersprüche und Doppelmoral
Diena ärgert sich:
„Es erscheint zynisch, dass der Staat eine Erlaubnis erteilt hat, eine Musikpreisverleihung live durchzuführen, während es gesetzlich verboten ist, Eltern, Verwandte und Freunde zu besuchen. Laut den Vorschriften darf ein Mensch nicht der Nachbarin helfen und sie mit dem Auto zum Geschäft bringen. Auch wenn beide Gesichtsmasken tragen. Gleichzeitig dürfen Dutzende aus verschiedenen Haushalten öffentliche Verkehrsmittel benutzen. ... Wir werden gebeten, alleine einkaufen zu gehen. Gleichzeitig gibt einer von den staatlichen Chefepidemiologen zu, dass, während seine Frau im Laden ist, er selbst 'kompromittierende Bilder' draußen macht, die er dann später als Beispiele für gesellschaftliche Verantwortungslosigkeit hernimmt. Und keiner fragt ihn, warum er zu zweit mit seiner Frau einkaufen gegangen ist.“
Schließt endlich auch die Fabriken!
Dass die Industrie von wirklich drastischen Maßnahmen immer noch weitgehend ausgenommen ist, kritisiert der Journalist Christian Bangel auf Zeit Online:
„Ist unsere Fleischindustrie systemrelevant? Sind es die Autobauer? Ja, es würde Geld kosten, viel Geld, die Industrie für ein paar Wochen in den Lockdown zu schicken. Aber Geld ist in Zeiten der Niedrigzinspolitik nicht das wichtigste Problem. Das drängendste ist der endlose Lockdown, der auf so vielen Ebenen Existenzen zerstört. ... Die Grundrechte, die Kinder, die Kultur, die mentale Gesundheit: All das muss im Angesicht der Pandemie zurückgestellt werden. Aber den Berufs- und Pendelverkehr einzuschränken und die Produktionsstätten zeitweise zu schließen, das gilt noch immer als linksradikal.“
Bitte zuhause bleiben - für die Touristen?
Über Ostern sind Spaniern Inlandsreisen weitgehend verboten, ausländische Urlauber dürfen aber kommen. Nur böse Zungen wagen da die Behauptung, der Tourismus sei wichtiger als das Wohl der Bürger, stichelt Isaac Rosa in eldiario.es:
„So etwas Unglaubliches zu glauben wäre ja, als behaupte man, dass die großen Infrastrukturen der vergangenen Jahrzehnte nicht zum Wohl der Spanier, sondern zum Erleichtern des Transports von Touristen gebaut wurden: Flughäfen, Hochgeschwindigkeitszüge, Autobahnen. ... Da könnten wir ja gleich auf jeden Irrwitz kommen. Das Zubetonieren der Küste, das Umwidmen von Natur in Bauland, die Urbanisierungsprojekte und die Golfplätze, die Nutzung des Wassers und anderer Ressourcen und so weiter. Sollte das alles etwa dem Tourismus dienen, statt die Lebensqualität der Einwohner zu verbessern?“
Die Rebellen haben das Recht auf ihrer Seite
Wenn die polnische Regierung ihre Regelungen für die Gastronomie nicht auf feste verfassungsrechtliche Füße stellt, wird es bald brenzlig, warnt Gazeta Wyborcza:
„Wir wurden bereits Zeugen von Situationen, in denen Regierungsbeamte gedemütigt wurden, weil Clubs oder Restaurants trotz Verbot geöffnet waren. Angestellte des Gesundheitsamtes drohten den Geschäftsleuten mit Strafen, aber die winkten als Antwort nur mit der Verfassung. Es war nicht schwer vorherzusagen, wer diesen rechtlichen Kampf gewinnen würde. Die meisten Gerichte waren sich einig, dass die rebellischen Unternehmer Recht hatten. Dies alles sollte zu keinem Krieg zwischen Gesellschaft und Staat führen. Wenn eine Regierung den Kampf gegen die Pandemie gewinnen will, muss sie mit legalen Mitteln dagegen kämpfen. Andernfalls wird der einzige Gewinner an Ostern das Virus sein.“