Istanbul-Kanal: Warum folgt auf Kritik Verhaftung?
In der Türkei sind zehn Ex-Admiräle festgenommen worden, weil sie den geplanten Istanbul-Kanal kritisiert hatten. Insgesamt 104 Admiräle im Ruhestand hatten sich zu dem Bauprojekt geäußert. Der 45 Kilometer lange Kanal soll den Bosporus entlasten. Kritiker fürchten Umweltschäden und einen Ausstieg der Türkei aus dem Vertrag von Montreux, der den freien Schiffsverkehr durch den Bosporus regelt.
Gelegenheit auf dem Silbertablett
Die Regierung wird die ganze Sache bestmöglich auszuschlachten versuchen, glaubt Yetkin Report:
„Die Regierung kann mit Hilfe des 'gesuchten Feindes' nun versuchen, oppositionelle Stimmen noch stärker als zuvor als Stimmen von 'Putschisten' zu qualifizieren und dadurch zum Schweigen zu bringen. ... Diese Gelegenheit wird Erdoğan auf dem Silbertablett serviert und er wird sie für eine neue Verfassung nutzen wollen, deren Teig beim ersten Versuch nicht richtig aufgegangen ist. ... Wird Erdoğan vorgezogene Wahlen ausrufen, weil er sich ausrechnet, mit dem Wind der 'Opfer'-Rhetorik, entstanden aus der Erklärung der pensionierten Offiziere, gewinnen zu können? Oder wird er neue Maßnahmen ergreifen, um die Opposition zum Schweigen zu bringen?“
Harte Haltung ja, unmenschliche Razzien nein
Zwiespältig steht Habertürk den Geschehnissen gegenüber:
„Eine Polizeirazzia im Morgengrauen ist niemals richtig. Keiner dieser Admiräle kann fliehen, das wissen wir alle. Die Einleitung von Ermittlungen ist richtig. Es wird gut sein, wenn wir erfahren, wer die Quellen dieser lächerlichen Bekanntmachung sind, die die Türkei blockiert. ... Aus Sicht der Demokratie ist es definitiv ein Muss, eine kompromisslos harte Haltung gegenüber dieser Erklärung einzunehmen. Andererseits ist es eine Frage des Gewissens, sich ebenso gegen die Polizeirazzien zu stellen, um den Erfahrungen unserer Vergangenheit gerecht zu werden.“
Politischer Islam gewinnt die Oberhand
Über die wachsende Kluft in der türkischen Gesellschaft zeigt sich Protagon besorgt:
„In der Tat besteht dieser Konflikt zwischen einer Regierung, die die rasche Islamisierung der Türkei wünscht, und den einst mächtigen und jetzt verfolgten Garanten der weltlichen Identität des Staates [der Armee]. ... Der Konflikt wird sich in den kommenden Monaten verschärfen, wobei Erdoğan nun die Oberhand zu gewinnen scheint. Die Kluft ist noch viel tiefer, als sie von außerhalb des Landes wahrgenommen werden kann, hauptsächlich weil die Erdoğan-Regierung auf erstickende Weise den Zugang zu Informationen kontrolliert. Wir stehen noch am Anfang. Eine Wende der Türkei hin zu einem noch tieferen politischen Islam ist nicht auszuschließen.“