Oscars 2021: Am Puls der Zeit oder zu viel gewollt?
Nach einem Jahr, das in den USA vor allem von Corona, Donald Trump und der Black-Lives-Matter-Bewegung geprägt war, stand die Verleihung der Academy Awards am 25. April im Zeichen der Diversität. Es waren mehr Frauen und nicht-weiße Kunstschaffende nominiert als je zuvor. Europas Presse begrüßt diese Entwicklung weitgehend, warnt aber auch vor zuviel Politisierung auf Kosten der Kunst.
Endlich im Jetzt angekommen
Die zentralen Themen der Gala hätten nicht relevanter sein können, lobt The Independent:
„Zu hören, wie [die Schauspieler] Regina King, Travon Free, Tyler Perry und Angela Bassett über den George-Floyd-Prozess, Rassenungerechtigkeit, Polizeigewalt und frühere rassistische Gesetze in den US-Südstaaten sprachen, verlieh der Zeremonie eine Dringlichkeit und Authentizität, die bisher oft fehlte. Es half, dass diese Stimmen und Gefühle auf natürliche Weise auch aus den nominierten Filmen hervorgingen - Filmen, bei denen es um das Recht auf friedlichen Protest, um die Befreiung von Schwarzen, Gewalt gegen Frauen und wirtschaftliche Vertreibung ging.“
Humorlos und abgehoben
Das war die langweiligste Oscar-Verleihung aller Zeiten, kritisiert Webcafé:
„Das Problem ist, dass es zwar eine Show über die Unterhaltungsindustrie, aber keine unterhaltsame Show war. Stattdessen gerieten Kino und Talent zugunsten der Rassismus-Thematik in den Hintergrund. … Dabei braucht das Publikum Humor. Aus welchem anderen Grund sollte man sonst drei Stunden vor dem Fernseher hocken? Um zuzusehen, wie sich alle gegenseitig auf die Schultern klopfen und Dankesreden an Menschen aussprechen, deren Namen man noch nie gehört hat?“
Spiegel der US-Realität
Krytyka Polityczna meint, die Filmindustrie kann sich keinen Rückschritt mehr leisten:
„Es wird schwierig sein, bestimmte Veränderungen, die in diesem Jahr sichtbar werden, zu stoppen. Amerika wird immer weniger weiß und die Filmindustrie muss einen Weg finden, dies zu reflektieren und dem nicht-weißen Publikum eine angemessene Darstellung auf der Leinwand zu bieten mit Geschichten, die ihre Erfahrungen widerspiegeln. Die Oscars müssen den Veränderungen folgen, wenn sie nicht hinter Amerika zurückfallen wollen. “
Raum für künstlerische Freiheit
Der Oscar für den besten internationalen Film ging an Der Rausch von Thomas Vinterberg, eine dänisch-schwedisch-niederländische Koproduktion. Für Berlingske absolut verdient:
„[Der] Film ist frei von mechanischer politischer Korrektheit, die einige Filme und Serien derzeit prägt. 'Der Rausch' wurde mit vier weißen Männern in den Hauptrollen gecastet; offenbar ohne Forderungen nach ethnisch ausgeglichener Repräsentation auf dem Schirm. ... Wir werden daran erinnert, dass wir aufpassen müssen, Kunst nicht in irgendeine politische Richtung zu zwingen. Große Kunst braucht Freiheit, um sich überraschend und unvorhersehbar zu entfalten. “
Verlorener Zauber
Warum die Oscar-Verleihung auf immer weniger Publikumsinteresse stößt, deutet Chefredakteur Jordi Juan in La Vanguardia:
„Heutzutage sind fast sämtliche Nominierungen seit Monaten für alle auf den verschiedenen TV-Plattformen zu sehen. Unklar ist nur noch, welcher Kanal den bevorzugten Film anbietet. Wir leben in der paradoxen Situation, jeden gewünschten Kinofilm per Knopfdruck zu erhalten, dabei aber langsam den alten Zauber der Erstaufführungen zu verlieren, die Liturgie, zu den Kinos zu pilgern, um die neuen Streifen anschauen zu können. Man muss schlicht und ergreifend zugeben, dass die leicht zu bekommenden Dinge ihren Wert verlieren.“