Urteil gegen Shell: Bricht sich der Klimaschutz Bahn?
In den Niederlanden haben Umweltschützer vor Gericht einen wichtigen Sieg errungen: Das Energieunternehmen Shell, das seinen Hauptsitz in Den Haag hat, muss seinen CO2-Ausstoß bis 2030 um 45 Prozent im Vergleich zu 2019 reduzieren. Damit wurde erstmals einem Konzern ein Klimaziel verordnet. Shell will in Berufung gehen.
Die Zeit wird knapp
Die guten Nachrichten in Sachen Klimaschutz brauchen wir dringend, betont Politiken:
„Die Corona-Krise hat im vergangenen Jahr unsere Aufmerksamkeit vom Klima abgelenkt. Doch die Herausforderungen sind aktuell wie nie zuvor. In der vergangenen Woche kam eine Warnung der Weltorganisation für Meteorologie. Laut ihren Berechnungen besteht schon in den kommenden fünf Jahren das Risiko, dass die globale Temperatur um 1,5 Grad Celsius steigt - die kritische Grenze, deren permanentes Überschreiten das Pariser Abkommen zu verhindern sucht. Es eilt also. Und je mehr Druck gemacht wird, desto besser - Druck auf Regierungen, sowie in höchstem Maße auch auf private Unternehmen.“
Gefahr einer Systemerschütterung
Turbulenzen an den Finanzmärkten erwartet Kauppalehti:
„Das auf Risikoanalysen spezialisierte Beratungsunternehmen Verisk Maplecroft erwartet in seiner neuesten Bewertung, dass der für den Abbau der Emissionen erforderliche Umstieg eher unkontrolliert als kontrolliert verläuft. … Die Entscheidung des niederländischen Gerichts gibt einen Vorgeschmack auf die Zukunft. … Weltweit sind Verfahren anhängig. … Betroffen ist nicht nur die Energiebranche, sondern betroffen sind alle Branchen, in denen Schadstoffe ausgestoßen werden. Ein unkontrollierter Übergang bedeutet auch ein beträchtliches Risiko für die Finanzmärkte. Die Gefahr einer Systemerschütterung ist real, falls das Kapital beginnen sollte, sich schnell aus emissionsintensiven Branchen zurückzuziehen.“
Der nächste Outcast nach Tabak
Eine Zeitenwende für die Mineralöl-Branche erkennt De Tijd:
„Am Ende hat der Sektor keine Wahl. Dass fossile Brennstoffe verbannt werden, ist eine weltweite Entwicklung - die im Westen nochmal schneller abläuft. Die Ölgesellschaften haben das Gleiche vor sich wie die Tabakbranche, die durch die weltweiten Aktionen gegen Tabakkonsum unvermeidlich schrumpfen musste. In einigen Jahrzehnten wird fossiler Brennstoff den Gewinn nicht mehr ankurbeln, so wie es aktuell noch der Fall ist. Die großen Ölkonzerne werden nicht auf einen Schlag verschwinden. Aber um zu überleben, werden sie ihr Geschäftsmodell drastisch verändern müssen.“
Ein Paukenschlag
Über ein Urteil für die kommenden Generationen jubelt De-Volkskrant-Kolumnistin Sheila Sitalsing:
„Das ist ein Paukenschlag. Der Auftrag zur CO2-Reduzierung greift sofort, und kann nicht durch immer neue Berufungsverfahren verzögert werden. ... Auf allen anderen Vorstandsetagen wird man nun besorgt mit der Rechtsabteilung konferieren, ob es nicht billiger ist, sofort ernsthafter für weniger CO2-Ausstoß zu sorgen, als einen unvermeidlichen Prozess abzuwarten. ... Hier und dort kann man aus greisen Kehlen Proteste hören, Klagen über moderne Sitten und 'aktivistische Richter', die 'auf dem Stuhl der Politik sitzen'. ... So muss es einst auch gewesen sein, als Frauen, Minderheiten und andere Benachteiligte ihre Rechte erkämpften.“
Immer öfter richten es die Richter
Für die Frankfurter Rundschau hat das Gericht Rechtsgeschichte geschrieben:
„Der Fall Shell kann zum Präzedenzfall auch für viele andere Konzerne in Europa werden, die internationale Klimaabkommen nicht ernst nehmen. ... Tatsächlich sind es offenbar zunehmend die Gerichte, die den nötigen Klimaschutz durchsetzen, weil die von Industrielobbys eingemauerten Politikerinnen und Politiker das nicht schaffen ... Shell & Co. sind gut beraten, die Realitäten endlich anzuerkennen und den Umbau offensiv anzugehen.“
Eigentlich gehört der Staat angeklagt
Dass hier der Falsche auf der Anklagebank saß, findet De Standaard:
„Können Richter Unternehmen zwingen, ein Abkommen zu befolgen, an dem diese nicht selbst beteiligt waren [das Pariser Klima-Abkommen]? Die strengen Maßnahmen, zu denen Shell gezwungen wird, stehen in starkem Kontrast zu beispielsweise den Super-Sonderangeboten von Ryanair, um für 5 Euro in die Sonne zu fliegen. ... So sehr einen das auch empört - müssen die Richter dagegen etwas unternehmen, wo es doch an politischer Tatkraft fehlt? Eigentlich sollten die Richter den Staat verurteilen, wegen fahrlässiger Unterlassung. Aber sie können natürlich niemanden verurteilen, der nicht angeklagt ist.“