Noch kein Kohlestopp in Turów: EuGH bestraft Polen
Der Europäische Gerichtshof hat Polen mit einer Geldstrafe von 500.000 Euro pro Tag belegt, solange es den Braunkohleabbau in Turów fortsetzt. Der Tagebau liegt im polnisch-tschechisch-deutschen Dreiländereck und bedroht das Grundwasser im ganzen Grenzgebiet. Auf Klage Tschechiens hatte der EuGH im Mai einstweilig eine sofortige Einstellung des Betriebs verfügt. Was ist da schief gelaufen?
Visegrád versagt im Krisenfall
Um angesichts des Streits um die Kohlegrube Turów seinem tschechischen Kollegen Babiš aus dem Weg zu gehen, hat Polens Premier Morawiecki seine Teilnahme an einem Visegrád-Forum in Budapest abgesagt. Český rozhlas meint dazu:
„Polen behauptet, dass die Fortsetzung des Bergbaus in Turów aus sicherheitstechnischer und wirtschaftlicher Sicht wichtig ist. Die Sorgen der Bewohner des tschechischen Grenzlandes um Umwelt und Wasserversorgung haben Warschau bisher wenig interessiert. ... Auch vor dem Hintergrund von Turów erweist sich die Visegrád-Gruppe nicht als echte regionale Gemeinschaft mit tiefen gemeinsamen Interessen der beteiligten Länder, sondern als zweckgebundene Lobbygruppe, die nur gemeinsam handelt, wenn es ihr in Streitigkeiten mit Brüssel passt.“
In der Außenpolitik können Populisten nicht punkten
Für Polityka demonstriert der Streit das außenpolitische Schwächeln populistischer Regierungen:
„Während es in der Innenpolitik für die Regierenden manchmal effektiver ist, geschickt zu kommunizieren, als auf starke Argumente und kühles Urteilsvermögen zu setzen, verliert der Populismus in der Außenpolitik fast immer gegenüber hartem Realismus und verflochtenen Interessen. Alles deutet darauf hin, dass es Polen im Konflikt mit der Tschechischen Republik an Realismus und einer angemessenen Lagebeurteilung mangelte. Allein die Tatsache, dass Warschau bisher kläglich gescheitert ist, offenbart, dass die Kosten einer Vernachlässigung der Diplomatie und der Beziehungen zur EU sowie zu den Nachbarländern viel höher sein können als vorübergehende Vorteile im eigenen Land.“
Energiewende braucht mehr Förderung
Das Urteil ist durchaus heikel, gibt das Handelsblatt zu bedenken:
„[N]icht nur, dass bis zu fünf Prozent der Stromversorgung Polens an Tagebau und Kraftwerk in Turow hängen, sollte zum Nachdenken anregen. Denn das ist nicht einfach zu ersetzen. Auch den polnischen Energieträger durch Importe von Kohle aus Russland oder dem russisch besetzten ukrainischen Kohlepott Donbass auszutauschen wäre fatal. Die EU ist zu abhängig von russischem Gas und Öl, sie darf nicht auch noch von Kohle aus dem Kusbass [sibirisches Kohlerevier] angewiesen sein. ... Jetzt muss es im Turow-Streit einen vernünftigen Kompromiss geben. Wir müssen mehr Fördergelder in die Energiewende an Oder und Weichsel stecken.“
Tschechen bestehen gar nicht auf Schließung
Trotz der Gerichtsentscheidung gibt es immer noch Versuche, den Fall einvernehmlich beizulegen, analysiert Večernji list:
„Zwischen der tschechischen und polnischen Regierung gibt es Kontakte, durch die versucht wird, die Situation friedlich zu lösen. ... Das offizielle Prag, so tschechische Medien, erwartet von Polen, dass es die Kosten für ein neues Trinkwassersystem auf der tschechischen Seite der Grenze trägt, wo das Trinkwasser durch die Arbeit des polnischen Kraftwerks kontaminiert ist. Auch möchte Tschechien, dass Polen sich zu regelmäßigen und strengeren Umweltkontrollen rund um das Kraftwerk verpflichtet, denn Turów verschmutzt nicht nur das Wasser, sondern auch erheblich die Luft.“
Harte Landung in der Realität
Aus Sicht von Polityka hat Polens Regierung die Lage völlig falsch eingeschätzt:
„Tschechien argumentiert, das Bergwerk Turów habe negative Auswirkungen auf das Leben von Zehntausenden seiner Einwohner. ... Diese sind vor allem über die Absenkung des Grundwasserspiegels besorgt (auch deutsche Gemeinden beklagen sich darüber, doch Berlin hat das Problem nicht offiziell aufgegriffen). Prag hatte Warschau aufgefordert, die Umweltrichtlinien korrekt umzusetzen, zunächst ohne den EuGH einzuschalten. ... Die EU-Kommission bestätigte in einer offiziellen Stellungnahme einige der Vorwürfe gegen Polen. Von Brüssel ermutigt, stiegen die Erwartungen der Tschechen an eine gütliche Lösung, während Warschau überzeugt war, dass eine tschechische Beschwerde vor dem EuGH nur mäßige Chancen hätte und der Antrag auf das Einfrieren von Turów 'völlig überzogen' sei. Das waren Hirngespinste.“