Kasachstan: Neuanfang mit Tokajew?
Wenige Tage nach der Niederschlagung der Unruhen in Kasachstan scheint Ex-Machthaber Nasarbajew endgültig von der Bildfläche verschwunden zu sein. Präsident Tokajew kündigte vor dem Parlament eine neue Politik zur Einschränkung der Oligarchenmacht und damit auch von Nasarbajews Umfeld an. Wie fest der Präsident tatsächlich im Sattel sitzt, erörtern Kommentatoren.
Wer sich in den Weg stellt, wird verurteilt
Tokajew wird künftig wohl ohne den "Führer der Nation" (Jelbasy) Nasarbajew regieren können, glaubt Delfi:
„Der Drache ist tot, es lebe der Drache! Vor den Unruhen hatte der Präsident Tokajew in offiziellen Reden stets Nasarbajews Rolle betont. ... Seit den Unruhen gibt es keine Hinweise mehr auf Nasarbajew. Es scheint so, dass Tokajew der absolute Gewinner sein wird. Es wird wohl eine Untersuchungskommission gebildet, die die Schuldigen für die Aufstände in Kasachstan finden wird. Schuldig wird derjenige gesprochen, der zurzeit die größte Gefahr für Tokajew ist. So wird der jetzige Präsident seine politischen Probleme lösen. Er befreit sich von Nasarbajews Umfeld und kann Kasachstan im Alleingang regieren.“
Abrechnung mit dem Nasarbajew-Clan
Radio Kommersant FM drückt dem neuen Machthaber die Daumen:
„Tokajews Diagnose ist beachtenswert: Das Wirtschaftssystem Kasachstans sei ineffektiv, die wesentlichen Aktiva befänden sich in der Hand einer Gruppe von Oligarchen und die zentrale Entwicklungsbank diene als Instrument, um zwischen ihnen Geld zu verteilen. Dank Nasarbajew seien diese Leute auch nach internationalen Standards vermögend geworden. ... Nasarbajew und seine Familie, wo immer sie auch sein mögen, sind aus der Führung Kasachstans verdrängt. Und wichtig: Sowohl Russland als auch der Westen und offenbar auch China sind damit einverstanden. ... Die Reformen kann man nur begrüßen, aber sie durchzuziehen, wird garantiert nicht einfach.“
Vom Regen in die Traufe
Der Präsident hat die Emanzipation vom Nasarbajew-Clan mit neuer Abhängigkeit von Moskau erkauft, meint der russische Politologe Kirill Rogov auf 24tv.ua:
„Es war der Hass eines großen Teils der kasachischen Elite und Bevölkerung auf sie [die Nasarbajew-Familie], der Tokajew zum Sieg verhalf, als dieser sich von der Vormundschaft seines ehemaligen Chefs löste. Doch wie seine Vorgänger verdankt Tokajew seinen Sieg Moskau. Nasarbajew hatte es geschafft, sich weitgehend aus dieser Bevormundung zu befreien. Und das ist die Hauptaufgabe der Präsidentschaft von Tokajew. ... Undemokratische Machtwechsel machen die Rolle der Institutionen autoritärer Herrschaftssysteme im Raum der ehemaligen Sowjetunion deutlich. Das sind die 'Familie' und die 'Silowiki' [Ordnungskräfte].“
Tokajew hat sich Moskau ausgeliefert
Auch Karar fürchtet, dass Kasachstans Präsident sich selbst einen Bärendienst erwiesen hat:
„Es ist nicht nachvollziehbar, was Tokajew sich dabei gedacht hat, als er eine Angelegenheit, die mit nationalen - und insbesondere demokratischen - Mitteln hätte gelöst werden können, an die russische Armee abgegeben und sich damit gegenüber Moskau so hoch verschuldet und Raum für dessen Intrigen geboten hat. Stattdessen hätte er, wenn nötig, seine eigene Staatsmacht opfern müssen, um wieder für Ruhe und Sicherheit in Kasachstan zu sorgen. Denn sobald er diese auf die russische Armee stützt, ist das ohnehin nicht mehr seine Staatsmacht, sondern die von Putin. Bleibt zu hoffen, dass die letzte Ausfahrt vor der Brücke noch nicht verpasst ist.“