Protest im russischen Staatsfernsehen geht viral
Am Montagabend sprang die Journalistin Marina Owsjannikowa während der Hauptnachrichtensendung des russischen staatlichen TV-Senders Pervij Kanal ins Bild und hielt ein Plakat mit Aufrufen gegen den Krieg und Propaganda in die Kameras. Es dauerte nur ein paar Sekunden, erreichte aber Millionen Zuschauer. Owsjannikowa wurde festgenommen, ist aber inzwischen zu einer Geldstrafe verurteilt und wieder freigelassen worden. Die europäische Presse würdigt die Aktion.
Eine Heldin für die Geschichtsbücher
Der Journalist Alexander Minkin erklärt Marina Owsjannikowa wegen ihres Live-Protests in Nowaja Gaseta zur Heldin:
„Sie wusste, worauf sie sich einlässt. ... Aber ihre Kinder werden ihren Lebtag lang stolz auf sie sein. ... Ich selbst beneide Owsjannikowa. Das ist der Neid eines Zeitungsmenschen, dessen Artikel mit gut Glück Hunderttausende lesen, aber ihren Aufruf haben Millionen gesehen. ... Jene Millionen, die keine Zeitungen lesen, weshalb sie das wichtigste Auditorium sind - eines, das nun Worte gegen [den Krieg] gehört hat und vor Marinas Auftritt immer nur dafür. Wenn sich das politische Leben normalisiert hat und der staatliche Wahnsinn überwunden ist, wird Owsjannikowa in die Geschichtsbücher eingehen. Denn Helden kommen immer in die Geschichtsbücher. “
Die Nerven für einen langen Widerstand behalten
Als feige bewerteten viele in Rumänien die Tatsache, dass das regimekritische Blatt Nowaja Gaseta um Nobelpreisträger Dmitri Muratow beim Bericht zum Thema das Plakat ausblendete. Der Schriftsteller Vasile Ernu hält es in Libertatea aber für eine rationale Entscheidung:
„Hier gewinnt nicht, wer die größere Medienshow abzieht, sondern wer die Nerven für einen langen Widerstand hat. ... Ich setze auf das Team der Nowaja Gaseta - das ist die richtige Strategie. Die sowjetische Erfahrung lehrt uns das. Aus der Erfahrung des Widerstands von Dissidenten weiß ich, dass diejenigen die Aussicht auf einen Sieg haben, die sich für einen langfristigen Widerstand organisieren und ausharren.“
Pressefreiheit auch in Demokratien gefährdet
Politiken verweist darauf, dass auch im Westen die Pressefreiheit bedroht ist:
„Marina Owsjannikowas ehrfurchtgebietender Mut erinnert uns daran, dass wir die Pressefreiheit niemals als selbstverständlich ansehen dürfen. ... Finnland ist ein demokratisches Land, aber auch [dort] steht die Meinungsfreiheit unter Druck. Drei Zeitungsmitarbeitern droht eine Haftstrafe, weil sie über Finnlands Militärsicherheitsdienst geschrieben haben. Unerhört in einer Demokratie? Leider nicht. Zahlreiche dänische Zeitungen erhielten vor einigen Wochen Besuch von Leitern der beiden dänischen Geheimdienste, mit einer unverhohlenen Androhung einer möglichen Strafverfolgung, falls sie sich anmaßen, Geheimnisse preiszugeben.“