Ukraine: Gibt es Raum für pazifistische Positionen?
Rund eine Woche ist es her, dass die Verbündeten der Ukraine - auch Deutschland - ihre militärische Unterstützung gegen Russland konzentriert und ausgeweitet haben. Diplomatische Bemühungen zur Beendigung des Krieges liegen indes weitgehend auf Eis. Einige deutsche Intellektuelle haben in einem offenen Brief an Bundeskanzler Scholz ihrer Sorge Ausdruck verliehen. Europas Presse diskutiert die Aufrüstung und deutsche Befindlichkeiten.
Fragen sind legitim
Pazifismus als überholt zu betrachten, geht zu weit, wirft La Stampa ein:
„Anderen Völkern, die von der Ausrottung bedroht wurden, wurde keine Hilfe zuteil. Es ist also absolut legitim und verständlich, sich zu fragen, warum wir jetzt helfen. In welchem Namen schicken wir Waffen an den ukrainischen Widerstand? Um zu sehen, wer gewinnt, um stellvertretend zu gewinnen oder um der wehrlosen Bevölkerung, die massakriert wurde, zu helfen und irgendwann zu verhandeln? Aber mit wem verhandeln? Kann man mit Putin verhandeln? Die Frage, warum wir Waffen schicken sollten, ist legitim. Der Pazifismus ist nicht aus der Zeit gefallen, wie der deutsche Bundeskanzler sagt, sondern er ist ein Gefühl, das in jedem steckt, der dazu erzogen wurde, die Rechte der Schwächsten und damit aller zu achten.“
Russland verhandelt nicht mit Wehrlosen
Der polnische Schriftsteller Szczepan Twardoch kritisiert in Der Spiegel die Argumentation der Autorinnen und Autoren des offenen Briefs:
„Es gibt einen gedankenlosen Pazifismus, der sich, merkwürdig genug, nie gegen Russland richtet. Und dessen Vorstellungen die Ukrainer am besten dadurch realisieren würden, dass sie nicht nur die Waffen strecken, sondern sich gleich selbst ihre Gräber ausheben, sich hineinlegen und geduldig warten, bis sie 'entnazifiziert' werden. ... Mehr Waffen für die Ukraine bedeuten stärkere ukrainische Streitkräfte, diese wiederum bedeuten weniger russische Kriegsverbrechen. So einfach ist das. ... Russland verhandelt nicht mit Wehrlosen. Mit Wehrlosen verfährt Russland ganz nach eigenem Belieben, wie es ihm gerade passt.“
Schnellkurs in Unsicherheiten und Risiken
In einem Gastbeitrag für Lidové noviny erklärt der Prager ARD-Hörfunk-Korrespondent Peter Lange die für viele Ostmitteleuropäer schwer verständliche deutsche Sicht auf den Ukraine-Krieg:
„Deutschlands 'Kriegsangst', der Wunsch nach Sicherheit und Stabilität, war nach 1945 die übergeordnete politische Maxime der (west-)deutschen Gesellschaft. ... [In repräsentativen Umfragen] glauben derzeit 45 Prozent, dass die militärische Unterstützung der Ukraine das Richtige ist. 45 Prozent hingegen sind dagegen, weil sie eine Eskalation des Konflikts und den Ausbruch eines weltweiten Atomkriegs befürchten. Die deutsche Gesellschaft ist derzeit gespalten und muss im Rahmen eines Schnellkurses lernen, Unsicherheiten und Risiken auszuhalten, die sie seit Jahrzehnten nicht gekannt hat.“