Hungersnot: Russland blockiert ukrainisches Getreide

Der weltweite Hunger hat einen dramatischen Höchststand erreicht. Der Ukraine-Krieg verschärft die Not zusätzlich, weil Russland kein eigenes Getreide mehr exportiert und dazu den Export aus den ukrainischen Häfen am Schwarzen und Asowschen Meer blockiert. Nun will Präsident Putin den Transport von ukrainischem Weizen zulassen, wenn die Sanktionen gegen Russland gelockert werden. Was sollte der Westen tun?

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Público (PT) /

Keine militärische Lösung, bitte!

Der Politologe José Pedro Teixeira Fernandes schlägt in Público vor, wie die Folgen der Getreideausfuhr-Blockade abgefedert werden können:

„Ist es eine Lösung, Kriegsschiffe aus Nato-Ländern ins Schwarze Meer zu schicken, um die russische Seeblockade der Ukraine zu durchbrechen?... Das ist eine unüberlegte Idee, die die Gefahr birgt, den Konflikt zu verschärfen und nicht zur Lösung der Nahrungsmittelkrise beizutragen. ... Wenn es eine echte humanitäre Sorge um die Länder der Welt gibt, die unter den steigenden Lebensmittelpreisen leiden, gibt es eine offensichtliche Alternative, die so schnell wie möglich umgesetzt werden sollte. ... Es handelt sich um Finanzhilfen und/oder Lebensmittelspenden für die schwächsten und am stärksten betroffenen Länder, die nicht den Krieg weiter anheizen.“

Times of Malta (MT) /

Nie dagewesene Krise

Times of Malta bangt:

„Das schnelle Ende des Ukraine-Krieges wäre das günstigste Szenario, damit Treibstoff, Dünger und Getreide wieder in alter Normalität vorhanden sind. Das schlimmste Szenario könnte eine Eskalation der Kampfhandlungen bedeuten, die andere Länder Europas zu einem militärischen Eingreifen treibt, um den Fluss von Treibstoff, Dünger und Getreide aus der Ukraine zu sichern. So etwas haben wir noch niemals erlebt. Die große Mehrheit der Menschen hat gar keine Vorstellungskraft dafür, was passieren könnte, wenn sich der Krieg in der Ukraine länger hinzieht.“

De Standaard (BE) /

Es wird noch komplizierter

Putins Strategie, Getreidelieferungen an Sanktionsaufhebungen zu koppeln, ist in jeder Hinsicht gefährlich, warnt De Standaard:

„Wenn sein Plan gelingt, wird nicht mehr er der Bösewicht sein, sondern die Europäische Union, die die Lieferung von Getreide in hilflose Länder wie Ägypten oder Tunesien blockiert. Für viele nicht-westliche Länder ist Solidarität mit der Ukraine nämlich nicht selbstverständlich. ... Dass Europa auf die Provokation eingeht und die Sanktionen lockert, ist natürlich undenkbar. Das Gegenteil ist wahrscheinlicher: Dass die letzten Bedenken, Moskau trocken zu legen, beseitigt werden. Das wird den Konflikt verschärfen und die Komplexität auf der Weltbühne erhöhen. Es wird den Frieden nicht näher bringen. Und genau das will Putin.“

Gordonua.com (UA) /

Kein Ausweg - außer Blockade zu beenden

Der stellvertretende Minister für Infrastruktur, Mustafa Najem, schreibt in einem von gordonua.com übernommenen Facebook-Post:

„Zum ersten Mal seit Jahrzehnten werden wohl Millionen Menschen ohne Nahrungsmittel dastehen, nicht wegen einer Naturkatastrophe, sondern weil bereits geerntete Erzeugnisse nicht exportiert werden können. ... 70 bis 75 Prozent unserer Exporte, einschließlich Getreide, werden über Seehäfen abgewickelt. ... Natürlich werden wir alles in unserer Macht Stehende tun, um die Waren an ihren Bestimmungsort zu bringen. Doch es gibt ein Problem. Mit unseren drei Donauhäfen, der Bahn und LKWs können wir maximal drei bis vier Millionen Tonnen Agroprodukte pro Monat exportieren. Das ist nur die Hälfte (!) des Vorkriegsniveaus. Der einzige Ausweg ist, die Blockade der ukrainischen Häfen zu beenden. Mit oder ohne Waffen.“

La Repubblica (IT) /

Die Retourkutsche

Die Situation ist vertrackt, betont La Repubblica:

„In Kyjiw beginnen die Menschen, sich an die große Hungersnot (Holodomor) zu erinnern. … Ist ein internationales Eingreifen denkbar? Um diese Frage zu beantworten, sollte man sich darüber im Klaren sein, was für Moskau auf dem Spiel steht. Russland versucht, die Schwierigkeiten des Landkriegs durch die Kontrolle der Häfen auszugleichen. ... Während Moskaus Soldaten in den besetzten Gebieten ukrainisches Getreide zerstören oder stehlen - teilweise für Russlands Verbündeten Baschar al-Assad in Syrien - wird die russische Blockade von Odessa zur Retourkutsche gegen die westlichen Sanktionen: Solange diese nicht gelockert werden, werden russische Schiffe kein einziges Korn aus den ukrainischen Häfen lassen“

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liga.net (UA) /

Raketen einsetzen oder den Gegner spalten

Der Investmentbanker Serhij Fursa hofft in liga.net auf eine militärische Lösung:

„Reuters berichtet, dass das Pentagon erwägt, der Ukraine leistungsstarke Schiffsabwehrraketen zu liefern. So werden die Häfen wie von selbst freigegeben. Die zweite Stoßrichtung ist 'Teilen und Herrschen'. Russland ist nicht das einzige Land, das dieses Spiel spielen kann. Dem Wall Street Journal zufolge verhandelt Washington mit dem belarusischen Präsidenten Aljaksandr Lukaschenka: Er soll ukrainisches Getreide in die baltischen Staaten durchlassen, dafür will man im Gegenzug die Sanktionen gegen seine Kalidüngemittel aufheben. … Wobei mir, ehrlich gesagt, die erste Option mit den Raketen sympathischer ist.“

La Stampa (IT) /

Ein seit Langem vorbereitetes Druckmittel

Putin setzt die internationale Weizen-Abhängigkeit bewusst als Waffe ein, mahnt La Stampa:

„Ist es ein Zufall, dass Moskau 2014 nach der Besetzung der Krim und den ersten westlichen Sanktionen eine 'landwirtschaftliche Aufrüstung' ankündigte, der wir Priester der triumphierenden Globalisierung wie üblich keine Beachtung schenkten? Moskau steigerte die Getreideproduktion, um die Nahrungsmittelabhängigkeit von Europa und den Vereinigten Staaten zu verringern. … Nun verrottet in der Ukraine, der eigentlichen Kornkammer Europas, aufgrund von Hafenblockaden der Weizen in den Silos. ... Im Osten und Süden sind die Felder zu Schlachtfeldern geworden, vermint, von Panzern gnadenlos umgepflügt.“

Kommersant (RU) /

Auf unseren Weizen kann niemand verzichten

Kommersant sieht Russland in der drohenden Nahrungskrise gut aufgestellt:

„Mit Beginn der Kampfhandlungen in der Ukraine geriet der globale Lebensmittelmarkt unter noch größeren Druck als zum Höhepunkt der Pandemie. ... Fast alle großen Getreidelieferanten haben Probleme. Das [russische] Institut für Agrarmarktkonjunktur IKAR weist auf geringe Ernteerträge in Kanada und Argentinien sowie mögliche Probleme in der EU hin. ... Fast das einzige Land, bei dem es noch gut aussieht, ist Russland, wo eine Rekordernte erwartet wird. Deshalb meinen die Analysten, dass Russlands Anteil am globalen Weizenexport 20 Prozent erreicht, was bedeutet, dass es fast genauso schwierig sein wird, auf Russlands Getreide zu verzichten wie auf sein Öl und Gas.“

The Irish Times (IE) /

Russland zwingen, Blockade aufzuheben

The Irish Times fordert schnelle Lösungen:

„Kurzfristig ist es wichtig, dass die ukrainischen Häfen wieder geöffnet und Lebensmittelexporte wieder aufgenommen werden. Der Westen legt Russland zur Last, die Engpässe absichtlich zu provozieren, und wirft Moskau vor, absichtlich auf Transportwege und Getreidelager zu zielen. ... Russland muss gezwungen werden, Korridore einzurichten, damit Lebensmittel und andere lebenswichtige Güter die Ukraine auf dem Land- oder Seeweg sicher verlassen können.“

Verslo žinios (LT) /

Bei Sanktionen nicht einknicken

Man sollte lieber über alternative Transportwege nachdenken, als Russland im Gegenzug für die Aufgabe der Blockade eine Abmilderung der Sanktionen in Aussicht zu stellen, findet Verslo žinios:

„So ein Deal wäre moralisch wohl nicht zu rechtfertigen. Der Aggressor muss für seine Taten bestraft werden und die Sanktionen gehören da zu den wirkungsvollsten Mitteln. Deshalb darf man sie nicht abmildern. ... Sicher ist der Transport per Schiff der billigste und logistisch effektivste Exportweg. Aber man kann auch per Güterzug über Polen, Moldau oder Rumänien transportieren. ... Obwohl dieser Weg komplizierter, länger und vor allem teurer ist, kann der Westen einen Teil dieser finanziellen Last tragen.“

Új Szó (SK) /

Exportverbote sind keine Lösung

Indien hat die Ausfuhr von Weizen verboten, um die Lebensmittelversorgung im eigenen Land zu garantieren. Solche Schritte könnten das Problem aber zusätzlich verschärfen, ist Új Szó besorgt:

„Die Regierungen von immer mehr großen Lebensmittelausfuhrländern schränken den Export der wichtigsten Erzeugnisse ein. ... In gewisser Hinsicht ist es verständlich, dass die betroffenen Länder die Interessen der heimischen Bevölkerung berücksichtigen. Doch jedes Exportverbot trägt dazu bei, dass die Lebensmittelpreise noch weiter steigen, was wiederum dazu führt, dass in Afrika oder Indien noch mehr Familien hungern werden.“